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Herrnhuter Brüdergemeine lobt Schleiermacher-Predigtpreis aus

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Theologe und Philosoph Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

Foto: epd-bild/akg-images

Das Porträt zeigt den evangelischen Theologen und Philosophen Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768 - 1834).

Die Evangelische Brüder-Unität - Herrnhuter Brüdergemeine hat zum 250. Geburtstag des Theologen Friedrich Daniel Schleiermacher (1768-1834) einen Predigtpreis ausgeschrieben. Bis zum 12. Februar könnten Predigten eingereicht werden, die auf einen Dialog mit der Gemeinde angelegt sind, teilte die Freikirche am Freitag im sächsischen Herrnhut mit. Der Text solle zudem einen aktuellen Bezug haben und "sprachlich kreativ" sein.

Mit dem Preis will die Brüdergemeine nach eigenen Angaben "ein Vermächtnis des großen protestantischen Theologen, Reformers, Philosophen und Predigers würdigen". Dessen Prägung durch die Herrnhuter sei in seinem Denken unübersehbar, auch wenn er sich schon früh von der Brüdergemeine gelöst habe. Der Geburtstag von Schleiermacher jährte sich am 21. November zum 250. Mal. Der Gewinner des Predigtpreises erhält 250 Euro.

Schleiermachers überlieferte Predigten würden den biblischen Text kreativ auf aktuelle gesellschaftliche Fragen und persönliche Lebenssituationen beziehen, hieß es. Der Gelehrte habe so predigen können, dass er auch Religionsgegner angesprochen habe.

Die Evangelische Brüder-Unität - Herrnhuter Brüdergemeine ist eine Freikirche, die ihre wesentliche Wurzel in der böhmischen Reformation hat. Gegründet wurde sie im 18. Jahrhundert auf dem Gut von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf in der sächsischen Oberlausitz. Bekanntgeworden ist die Brüdergemeine weltweit für den Herrnhuter Weihnachtsstern und die Losungen.


Alltagsblätter wegschieben, Advent riechen: So schreibt man gute Andachten

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Ein Stück freie Rasenfläche umgeben von Laub.

Foto: Getty Images/iStockphoto/schulzie

Stimmungsbild in der Adventsandacht: Herbstblätter beiseite schieben, um eine "Lichtung" zu entdecken.

Beim Schreiben einer Andacht kommt es darauf an, Stimmungen zu erzeugen, ohne mit den Formulierungen zu übertreiben. Vikarinnen und Vikare im Predigerseminar Loccum lernen das bei dem Theologen und Schriftsteller Heinz Kattner. "Seien Sie Sie selbst", lautet dessen wichtigster Rat. Cornelia Kurth durfte bei der Textkritik zuhören.

"Eine Predigt zu schreiben, ist etwas Intimes", sagt Heinz Kattner. "Sie verrät Intimeres über den Verfasser als manches persönliche Gespräch." Umso erstaunlicher, dass Kattners Schüler und Schülerinnen am Predigerseminar in Loccum, alle um die dreißig Jahre alt und im Vikariat stehend, gar keine Scheu davor haben, dass eine Reporterin dabei ist, wenn sie sich einzeln von ihrem Lehrer eine Rückmeldung abholen. Ihre Aufgabe bestand darin, eine kurzen Andachtstext zum Thema "Advent" zu schreiben, etwa so, wie man ihn samstags in vielen Tageszeitungen unter dem Obertitel "Angedacht" vorfindet. Eine Art Kolumne also, die den Leser nicht nur auf der Verstandes-, sondern auch auf der Gefühlsebene ansprechen, die berührend, aber nicht kitschig sein, die klug, doch nicht gelehrt daherkommen soll, kurz, die "andächtig" machen will.

"Das ist eine durchaus hohe Kunst", so Heinz Kattner. 68 Jahre alt ist der Theologe, Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Dozent, seit 35 tätig in der Aus- und Fortbildung unter anderem von jungen Theologen, denen er nahebringen will, bei ihren Predigten nicht in das berüchtigte "Salbadern" zu verfallen. Einer seiner wichtigsten Ratschläge: "Seien Sie Sie selbst!" Die größte Verführung bestehe nämlich darin, in eine anonyme Kanzelsprache zu verfallen ("Gott lädt uns ein, Gott will uns Mut machen"), oder in das Gegenteil einer unnachvollziehbar blumigen Sprache ("Ihr Atem tänzelt in der Kälte wie eine Ballerina").

Sanfte Kritik am Text, nicht an der Person

Da treten sie also nacheinander ein in das holzgetäfelte "Drei-Kaiser-Zimmer" des Predigerseminars im Kloster Loccum, die jungen Vikare und Vikarinnen. Die Bildnisse dreier erhabener Kaiser schmücken die Wände dieses hohen Raumes, und fast wie ein vierter Kaiser sitzt Kattner etwas versunken in seinem Stuhl, vor sich die ausgedruckten Andachten, den Blick ruhig und freundlich auf den jeweils Eintretenden gerichtet. Einen Abend und einen Tag hatte er Zeit, die insgesamt achtzehn Texte mit Anmerkungen zu versehen. Eine Viertelstunde steht jetzt für jedes einzelne Gespräch zur Verfügung.

Textkritik im Predigerseminar Loccum: Heinz Kattner und eine Vikarin.

Es sind so unterschiedliche Menschen mit so unterschiedlichen Texten, auf die Kattner sich einlässt. Der eine beugt sich vertraulich und selbstsicher zum Lehrer vor, die andere hält sich eher steif und auf Abstand bedacht auf ihrem Stuhl; manche treten mit fröhlichem Lächeln ein, andere strahlen aus, dass sie sich der Qualität ihres Textes bewusst sind. Obwohl auf jeden eine Kritik zukommt, spürt man, dass die jungen Theologen Vertrauen haben zum Alten. Jeder wird sich nach seinem Gespräch herzlich bedanken, jeder wird etwas dazugelernt haben, niemand verlässt den Raum in gekränkter Stimmung.

"Eigentlich gehört das Predigen zur Substanz der Ausbildung", sagt Kattner. "Doch an der Uni wird kaum über einzelne Predigttexte gesprochen. Predigten zu kritisieren ist vergleichbar damit, ein Gedicht zu kritisieren. Den Betroffenen kommt es schnell so vor, als richte sich die Kritik am Text zugleich gegen ihre Person."

Heinz Kattner schlägt einen sanften Weg der Kritik ein. Vorsichtig formuliert er den Anspruch, den die Vikare und Vikarinnen an sich selbst und ihre Andacht stellen. "Sie sind so eine Stimmungs-Person, nicht wahr?" sagt er etwa zur 28jährigen Vikarin Henrike Lüers, die sofort bestätigt: "Ja! Ich mache beim Schreiben auch immer Musik an." Er kennt sie aus den vorherigen Seminartagen und er kennt jedes einzelne Wort ihres Textes, in dem sie gegensätzliche winterliche Stimmungen einfängt. Sie will ihre Leser in diese Stimmungen hineinziehen, damit ihre Schlusspointe um so tiefer wirken möge.

Ihre Pointe ist gut - ein Vergleich von Herbstblättern mit "Alltagsblättern", die man beiseite schiebt, um eine "Lichtung" zu entdecken. Doch ob Ausdrücke wie "wohlige Wärme" oder "das Leben ist von Schnee bedeckt" ein echtes Stimmungsbild entstehen lassen? Kann ein Ort funkeln, wie Hendrike Lüers es schreibt? Die Vikarin muss lachen, so offensichtlich ist, dass sie sich bei ihren Beschreibungen auf genau solche Phrasen eingelassen hat, mit denen man die Gefühle, die man wecken will, geradezu abtötet. Doch was ein guter Lehrer ist, der wischt einen kritisierten Text nicht mit einer Handbewegung fort. Hier und da ein Adjektiv streichen, aus dem schneebedeckten Leben ein "überall liegt Schnee" machen, und schon regt Henrike Lüers Andacht die Phantasie des Lesers an und wird zu einem echten Stimmungsbild.

"Man kann nur etwas verändern, wenn man würdigt, was da ist", sagt Heinz Kattner. So macht er es auch beim Text von Julian Wyrwa, einem ernst und sehr nachdenklich wirkenden Mann. Beim Gang über einen Adventsmarkt entdeckt das "Andachts-Ich" eine Weihnachtskrippe, deren Geruch nach Holz und Stroh ihn an die Krippe zu Bethlehem erinnert. Wie kann sowas unter der geplanten Überschrift "Geruch unserer Zeit" für die Leser nachvollziehbar werden? Im ruhigen Gespräch hin und her wird der Text von überhöhenden Metaphern befreit, ohne ihm den "altmodischen Duktus" zu nehmen, der nun mal zur Persönlichkeit des Vikars gehört.

Nicht belehren, sondern berühren

Vikarin Kristin Köhler erzählt in ihrer Andacht von einem Mann, der grübelnd wach liegt, weil er weiß, dass nicht er der Vater des Kindes ist, mit dem seine Frau schwanger ist. Auch hier fällt es leicht, aus dem insgesamt sehr gradlinigen Text die eine oder andere "Soap"-Formulierung zu entfernen ("Sie zog mich in ihren Bann"), um dann eine in Kattners Augen für predigtähnliche Texte geradezu vorbildliche Stärke zu betonen: Kristin Köhler hat darauf verzichtet, die offensichtliche Analogie zum Verhältnis von Maria und Josef zu ziehen. "Weder Leser noch Zuhörer wollen ja bevormundet werden", sagt er.

Er sieht es so: Ein Pastor muss nicht belehren, er muss auch nicht jedes Wort, dass er sagt, auf Gottes Wort beziehen oder überhaupt sich als Missionar betätigen. Wer diesen Anspruch fahren lässt und einfach versucht, die Menschen mit Wahrnehmungen, Geschichten und Erfahrungen zu berühren, die in sich die christlichen Werte beleben, der läuft auch nicht so schnell Gefahr, in das "Salbadern" oder "Kirchsprech" zu verfallen. Die Andacht von Vikar Ralf Altebockwinkel kann das schön bestätigen.

Der war sich zunächst sehr unsicher über die Angemessenheit seines Textes gewesen, weil er fürchtete, er sei mehr eine bloße Erzählung als eine Andacht. Bei einem Besuch in den USA lernte er den Brauch kennen, einem ahnungslosen Menschen vor Weihnachten zwölf Tage lang per Klingelstreich immer ein kleines Geschenk vor die Tür zu legen. Sein Freund und er wählten dafür, weil es ihnen lustig vorkam, eine skurrile alte Frau aus. Am Weihnachtstag sprach die Frau sie an, erzählte vom Tod ihres Mannes und wie glücklich sie die Aufmerksamkeiten gemacht hätten. "Da begriff ich erstmals wirklich den Sinn von Weihnachtsgeschenken", so heißt es in der Andacht.

Dieser Text erschien erstmals am 27. November 2015 auf evangelisch.de.

Heilige und Handwerke

Die Predigt abschaffen?

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Protestantische Theologen ringen um die Zukunft der Kanzelrede.
Martin Luther Predigt

© epd-bild/Norbert Neetz/Evangelische Stadtkirchengemeide/Lucas Cranach der Ältere

Ausschnitt aus der Predella des Reformationsaltars in der Wittenberger Stadtkirche St. Marien von Lucas Cranach dem Älteren.

"Wie war's?" - die Qualität der Predigt steht jeden Sonntag auf dem Prüfstand: Zu lang? Zu kurz? Zu langweilig? Angesichts eines digitalen Überangebots an Information scheint die große Zeit der Predigt vorbei - oder doch nicht?

Die Debatte um die Predigt ist alt: Wurden wieder Fragen beantwortet, die keiner gestellt hat? War der Mensch auf der Kanzel authentisch, oder warf er nur mit Floskeln um sich? Wurde mein Glaube gestärkt? Wurde Hilfe zum Leben vermittelt? Ist etwas hängengeblieben?

Für Martin Luther (1483-1546) war das gepredigte Wort unverzichtbares Medium zum Verständnis des Evangeliums. Seine Predigten erklärten in bis dahin unbekannter Weise die Welt und das Verhältnis zu Gott. Das war neu und rüttelte die Menschen auf. Pastorinnen und Pastoren gelingt es heute aber immer seltener, mit Predigten Aufsehen zu erregen. Die große Zeit dieser Form scheint vorbei zu sein.

"Nichts ist gut in Afghanistan"

Fast ausgestorben sind rhetorisch wortgewaltige - aber auch umstrittene - Erweckungsprediger wie Billy Graham (1918 - 2018). Allenfalls die frühere hannoversche Bischöfin Margot Käßmann, deren Neujahrspredigt 2010 mit dem Satz "Nichts ist gut in Afghanistan" nachhaltigen politischen Trubel auslöste, sorgt in ihren Reden immer mal wieder für Aufsehen.

Die damalige Reformationsbotschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, 2017 bei einer Predigt in der Wittenberger Schlosskirche.


Sonntag für Sonntag bemüht sich in den mehr oder weniger gut gefüllten Kirchen die evangelische Pfarrerschaft mit meist viertelstündigen Ansprachen um ihr Publikum. Sie sollten es lassen, findet Hanna Jacobs. Die junge Theologin machte Ende Oktober in der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" unter der Überschrift "Schafft die Predigt ab!" mit ihrer Zunft kurzen Prozess.

Predigt ist Kernkompetenz des Protestantismus

Die Predigt sei eine Kernkompetenz des Protestantismus und müsse bleiben, antwortete ihr der Tutzinger Akademiedirektor Udo Hahn. "Abschaffen ist kapitulieren", kommentierte auch Ulf Poschardt, Chefredakteur der "Welt", der sich 2017 in einem Tweet über eine seiner Meinung nach zu politische Weihnachtspredigt aufgeregt hatte.

Um bessere und originellere Predigten bemüht sich der Bonner ökumenische Predigtpreis, der 2000 erstmals vergeben wurde. So unterschiedliche Kandidaten wie der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch (1925-2005), der evangelische Theologe und Bestseller-Autor Jörg Zink (1922-2016), der Theologieprofessor Eberhard Jüngel oder der CDU-Politiker Norbert Lammert zählen zu den Preisträgern. Die Qualität der Predigt auf breiter Basis hat freilich auch diese Institution nicht nachhaltig verbessern können.

Lebensdeutung und Orientierung

Der emeritierte Bonner Theologieprofessor Reinhard Schmidt-Rost muss als Jury-Mitglied viele Predigten lesen. Ein evangelischer Gottesdienst ohne Predigt ist für ihn nicht vorstellbar: "Eine gute Predigt leistet eine differenzierte Wahrnehmung der Lebenssituationen, sie soll Lebensdeutung und Orientierung im Geist Jesu Christi bieten", so Schmidt-Rost. Dazu brauche sie eine "zu Herzen gehende sprachliche Gestaltung von Erfahrungen", was viel Vorbereitungszeit in Anspruch nehme. Diese Aufgabe müssten die Pfarrer ernst nehmen, sonst verkomme "die Gemeinde der Heiligen zu einer Gemeinde der Eiligen", mahnt der Theologe.



Der Streit um die Predigt hat inzwischen die Ausbildungsstätten erreicht. Als Fachdisziplin der Praktischen Theologie nimmt die Homiletik in der Ausbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer viel Raum ein. Auch nach der Uni werden Vikare weiter in der Predigtlehre geschult. Professor Lutz Friedrichs leitet das Evangelische Studienseminar Hofgeismar, das bis vor kurzem noch "Predigerseminar" hieß. Dort durchlaufen die Pfarramtskandidaten der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck ihre letzte Ausbildungsphase vor der Ordination.

Das Zuhören steht an erster Stelle

"Gearbeitet wird am Handwerk, an der Stimme, am Aufbau einer Rede, an einer verständlichen Sprache", zählt Friedrichs die Lernziele auf. "Aber entscheidend ist die Haltung. Deshalb steht an erster Stelle das Zuhören. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Gelingen einer Predigt von der Fähigkeit abhängt, zuhören zu können."

Dem Seminarleiter ist wichtig, dass die Vikare Gesellschaft und Kultur um sie herum wahrnehmen: "Wir lesen mit ihnen das Leben und ermutigen sie, sich nicht hinter Formeln und Floskeln zu verstecken. Sie sollen sich in ihren Predigten auf die Menschen einlassen und sich als Person zeigen, die mit Fragen des Glaubens ringt, die selbst Zweifel hat, die nicht immer schon eine Antwort hat."



Professor Friedrichs warnt seine Vikare davor, als "große Antwortgeber" aufzutreten. Als Ausbilder ist er davon überzeugt, dass die Zeit der klassischen Kanzelpredigt - von oben herab - vorbei ist. Die Predigt werde in postsäkularer Zeit zu einer "religiösen Rede auf Augenhöhe", so seine Einschätzung. Besondere Anlässe wie Gedenktage oder auch Bestattungen zeigten aber, dass es nach wie vor ein Bedürfnis nach guten Predigten gebe, allerdings bezogen auf gesellschaftliche oder biografische Anlässe. Davon könne die Sonntagspredigt lernen, so der Seminardirektor.

Heißes Eisen in Österreich: Trauung für alle

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Bild: Marie-Kristin Unverricht

Die lutherisch-evangelische Kirche in Österreich diskutiert nach 20 Jahren wieder die Öffnung der Trauung für gleichgeschlechtliche Paare. Katharina Payk hat einen kritischen Blick auf den Beschluss der Synode und seine möglichen Folgen geworfen.

"Synode A.B. geht in Richtung Trauung für alle" verlautbart die Evangelische Kirche Augsburger Bekenntnis (A.B.) Österreich nach der Synode, die am 7. Dezember in Wien stattfand, auf ihrer Webseite. Da hüpft das Herz der Gleichbehandlung: Endlich wird das heiße Eisen Segnung/Trauung gleichgeschlechtlicher Partner_innenschaften in der evangelisch-lutherischen Kirche angegriffen – geschmiedet werden soll es nun allerdings von den 194 Gemeinden selbst, denn das "Kirchenparlament" hat keine konkrete Entscheidung getroffen.

"Wir machen uns auf den Weg, die kirchliche Trauung für homosexuelle Paare einzuführen", sagte der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker in einer ersten Reaktion auf den Beschluss. Die einzelnen Gemeinden haben nun bis März Zeit, dazu Stellung zu nehmen, "das entspricht einem typisch evangelischen Weg", erklärt Bünker. Erfreulich: 54 von 63 Synodenmitglieder stimmten für den Antrag.

Ausgangspunkt ist, dass es nach wie vor in der Evangelischen Kirche A.B. keine Segnung/Trauung für Homosexuelle als offiziellen Kirchenakt im öffentlichen Gottesdienst gibt, lediglich im Kontext der Seelsorge ist eine Segnung gleichgeschlechtlicher Partner_innenschaften möglich. Ab 1. Jänner 2019 können gleichgeschlechtliche Paare in Österreich standesamtlich heiraten. Dieser Umstand zwingt die Evangelische Kirche nun, das zuletzt 1999 synodal diskutierte und dann unter den Teppich gekehrte Thema der "Trauung für alle" wieder anzugehen.

Vetorecht

Die Synode beschloss, nun die Gemeinden einzubeziehen: Statt einer Verordnung von "oben" sollen die Gemeinden mit entscheiden können, ob und in welchem Fall ein gleichgeschlechtliches Paar seine Beziehung unter Gottes Segen kirchenamtlich und spirituell verbindlich machen darf. Bis zur nächsten Synode im März sollen sich die Gemeinden zu der Frage positionieren, ob und wenn ja in welchem Modus die einzelnen Gemeinden die Trauung eines gleichgeschlechtlichen Paares ablehnen können. Es wird etwa diskutiert, ob eine "opt-in"-Variante sinnvoll sein könnte: Der Trauung homosexueller Paare muss ein positiver Beschluss der Gemeindevertretung vorausgehen. Die andere Möglichkeit ist ein "opt-out"-Verfahren, in dem die jeweilige Gemeinde die Möglichkeit der Trauung homosexueller Paare für sich ausschließen kann.

Kontroverse

Das Thema Homosexualität und Trauung ist in der evangelisch-lutherischen Kirche Österreichs seit Jahren kontrovers. Immer wieder wurde die Befürchtung einer Spaltung laut, weshalb wohl die sonst eher fortschrittliche Kirche, die längst kein Problem mehr hat, lesbische, bisexuelle und schwule Pfarrer_innen in ihren Gemeinden einzusetzen und sich gemeinhin für marginalisierte Menschen stark macht, das Thema Trauung/Segnung homosexueller Paare jahrelang vermieden hat. Und zwar zum Ärgernis und Ausschluss derer, die es wirklich betrifft: lesbische, schwule und bisexuelle Menschen – und zwar geoutet und nicht geoutet - in der Mitte der evangelischen Kirche. Denn sie gestalten und erhalten die Evangelische Kirche A.B. –, die in Österreich nicht einmal vier Prozent ausmacht und damit selbst als Minderheit gilt –, als Gemeindemitglieder, Pfarrer_innen, Mitglieder in Gremien, Menschen in Führungspositionen usw.

Eine Gruppe, bestehend aus Studierenden der Evangelischen Theologie, kirchlich engagierten Menschen sowie Bewohner_innen des evangelischen Wilhelm-Dantine-Hauses, organisierte sich daher, um bei der Synode mit einer friedlichen Protestaktion ihre Forderungen an die tagende Synode auf selbstgebastelten Demo-Schildern kundzutun. Mit scharfen Slogans wie "Just do it" oder "Reformation bewegt, bewegt euch mit" (siehe Foto) positionierten sie sich klar für die Öffnung der Trauung für homosexuelle Menschen.

Stefan Haider, Evangelischer Theologe (Bth), ist Teil dieser Gruppe und erklärt im Interview mit "kreuz und queer", dass es nach einer bereits über zwanzig Jahre dauernden Debatte, nun endlich Zeit sei, homosexuellen Paaren den öffentlichen Segen ihrer Beziehung und Liebe zu ermöglichen. "Darüber hinaus wollten wir uns solidarisch zeigen und uns klar gegen Diskriminierung jeglicher Art aussprechen, sowohl im Vorfeld der Synode als auch im kirchlichen Alltag", so Stefan Haider.

Die Protestgruppe befand außerdem, dass es widersprüchlich sei, dass homo- und bisexuelle Menschen zwar bereits den Segen zur Amtseinführung als Pfarrer_innen bekommen, ihn aber nicht an gleichgeschlechtliche Paare öffentlich weitergeben oder spenden dürften.

Spätzünderin

In der Tat hinkt die lutherisch-evangelische Kirche Österreichs hinterher. Die reformierte evangelische Kirche (Helvetisches Bekenntnis, H.B.) in Österreich führte bereits 1999 die öffentliche Segnung für gleichgeschlechtliche Partner_innenschaften ein, und in Deutschland sind es nur noch zwei von zwanzig Landeskirchen, in denen gleichgeschlechtlichen Paaren die öffentliche Trauung/Segnung verwehrt wird. In allen anderen Landeskirchen gibt es die Trauung für "alle" oder eine Segnung für homosexuelle Partner_innenschaften, die der Trauung gleichgestellt ist. 2016 hatte die erste Kirche, nämlich die Badische Landeskirche, die reguläre Trauung auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Dies bedeutet konkret: Der Trauakt, der ja eine Segnung ist, findet im öffentlichen Gottesdienst statt und wird ins Kirchenbuch eingetragen – und das Ganze wird Trauung und nicht nur Segnung genannt. Auch die Liturgie ist für alle zu trauenden Paare gleich.  

Beweis

In der Empfehlung des theologischen Ausschusses der Synode A.B. in Österreich, die an die 194 Gemeinden gerichtet ist, heißt es, man wolle auch gleichgeschlechtliche Partner_innenschaften würdigen, "sofern sie auf lebenslange Treue, gegenseitige Fürsorge und Beistand ausgerichtet sind". Es drängt sich die Frage auf: Ist das nicht immer so (gedacht), wenn Menschen einander heiraten? Ist das nicht sowieso das Eheversprechen, das bereits eine standesamtliche Hochzeit mit sich bringt?

Es legt sich also der Verdacht nahe, homo- und bisexuelle Partnerschaften müssten erst ihren Treue- und Beständigkeitsfaktor unter Beweis stellen. Und: Was denken die Mitglieder der Synode über queere Menschen? Dass sie eher untreu sind und sich in Partnerschaften nicht umeinander kümmern? Statt dem klitzekleinen, aber tonangebenden Wort "sofern" hätte man etwa klar formulieren können, dass man eheliche Partner_innenschaften – egal welcher Orientierungen –, die auf Treue, Fürsorge und Beistand beruhen, würdigen und segnen möchte.

Eine wahre Gleichbehandlung wird es jedenfalls nicht sein, wenn die Liebe zwischen zwei Menschen gleichen Geschlechts weiterhin von einzelnen Pfarrer_innen und Gemeindevertretungen als der kirchlichen Trauung nicht würdig herabgestuft werden darf.

Für Eingetragene Partner_innenschaften, die es bisher nur für gleichgeschlechtliche Paare gab und in Österreich ab 2019 auch Heteros offen steht, empfiehlt der theologische Ausschuss der Synode, die Trauung nicht zu ermöglichen. Das Institut sei nicht so verbindlich wie die Ehe und daher nicht "auf der gleichen Ebene". Auch diese Aussage hinterlässt einen schalen Beigeschmack, wurde doch genau diese Sonderform gleichgeschlechtlichen Paaren jahrelang als einzige Möglichkeit, ihre Beziehung rechtlich verbindlich zu machen, angeboten. Entschieden wird aber auch darüber erst im März.

Angesichts der kontroversiellen Haltungen zum Thema und der Angst des Mitgliederverlustes ist es verständlich, dass es zu einem diplomatischen Hinauszögern und dem Beschluss, die Gemeinden als Basis zu beteiligen, kam. Gleichzeitig muss man auch fragen dürfen, woran es eigentlich hängt. Ist das Schriftverständnis so vieler lutherisch-evangelischer Christ_innen in Österreich wirklich so rigoristisch – oder ist es doch klassische Homofeindlichkeit, die sich dahinter verbirgt? Und: Hätte man die vergangenen zwanzig Jahre nicht nutzen können, als Kirche Aufklärungs- und Inklusionsarbeit zu leisten – sowohl theologisch als auch zwischenmenschlich und menschenrechtlich? Wie die einzelnen Gemeinden sich positionieren werden, bleibt offen. Wer als lesbisches, bisexuelles oder schwules Paar in Österreich im neuen Jahr standesamtlich heiratet, kann erst einmal nicht kirchlich getraut werden. Aufschieben ist wienerisch. Aber lange wird es hoffentlich nicht mehr gehen. Jetzt passiert endlich etwas, der Stein ist ins Rollen gebracht.

Auch Stefan Haider ist zuversichtlich: "Dass die Entscheidung auf März verschoben wurde, ist ärgerlich, denn wieder gibt es keine klare Positionierung. Aber wir sehen darin auch die Chance, dass jetzt die Gemeinden etwas Positives daraus machen. Wir hoffen nun also, typisch für die Evangelische Kirche, auf eine starke Kraft von ‚unten', die Gemeinden, um die Trauung für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen."

***

Weiterführende Links/Literatur:

Bekanntmachung der Evangelischen Kirche A.B. Österreich: https://evang.at/synode-a-b-geht-in-richtung-trauung-fuer-alle/

Die Redaktion von evangelisch.de aktualisiert hier stets den Stand bezüglich Trauung aller Landeskirchen der EKD.

Katharina Payk: Trauung und Segnung homosexueller Partner_innenschaften. Interventionen in alte und neue Diskurse. In: Bernhard Kirchmeier (Hg.): Empfehlenswert und praktisch!: Perspektiven junger Theologinnen und Theologen auf die Lebensdienlichkeit christlicher Religionskultur, EVA 2015.

 

Eine Glocke auf Wanderschaft

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Die Replik der historischen Glocke reist - begleitet von vielen Menschen - auf dem alten Pilgerweg von Berlin nach Bad Wilsnack im Sprengel Prignitz an ihren Bestimmungsort: Die Wunderblutkirche.

Warum mir das 2018 wichtig war:  Die Audioslideshow des Fotografen Gordon Welters über die Pilgerfahrt im tiefsten Brandenburg hat mich dieses Jahr besonders gefreut - und zwar wegen ihrer aufwändigen Entstehungsgeschichte, des persönlichen Einsatzes des Fotografen und vor allem wegen der ungewöhnlichen Story, die hinter der Aktion "Die Glocke kehrt auf dem Pilgerweg zurück nach Bad Wilsnack" steckt. Es ist eine stimmungsvolle Geschichte über eine ungewöhnliche Pilgertour entstanden, die von einer sehr engagierten Pfarrerin und ihrer Gemeinde begleitet wird. Auch die Tatsache, dass die Glocke eigentlich eine Replik aus Kunststoff ist, hat das große Vohaben der Gemeinde nicht geschmälert. Die sorgfältig organisierte Pilgerfahrt mit verschiedenen Transportmitteln wie Traktor, Ruderboot oder Pfedewagen spiegelt sich auch in der einfallsreichen dreitägigen Berichterstattung des Fotografen Gordon Welters wieder. Er musste Wege finden, mit der Glocke Schritt zu halten, was nicht zuletzt zu einer beeindruckenden Drohnenfahrt über dem See führte, auf dem die Glocke im Ruderboot gefahren wird. Sein Geschick, mit den Leuten der Region ins Gespräch zu kommen und ihr anfängliches Misstrauen über den ungewohnten Mitpilger zu zerstreuen, führt zu einer sehr authentischen Reportage, stimmungsvoll arrangiert mit Gesangselementen. Man fühlt sich, als wäre man mitgepilgert. - Anika Kempf, Fotoredakteurin bei evangelisch.de

Dieser Artikel wurde erstmals am 05.07.2018 veröffentlicht.

Die Wilsnacker Wunderblutkirche war nach einem angeblichen Hostienwunder vom Ende des 14. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts ein Wallfahrtsziel von europäischem Rang. Mit der Reformation beendete der erste evangelische Pfarrer von Wilsnack, Joachim Ellefeld, im Jahr 1552 das Ganze, indem er das Blut auf den angeblichen Wunderbluthostien vor Zeugen verbrannte. Die Wilsnacker Glocke wurde von Kurfürst Albrecht III. in Auftrag gegeben, noch als die Wallfahrten nach Wilsnack auf ihrem Höhepunkt waren. 1471 kam die Glocke in Wilsnack an, wurde aber nie in die Kirche eingebaut. Nach dem Ende der Pilgerfahrten wurde sie nach Cölln, einem Ort im späteren Berlin, gebracht und später dem Geläut des Berliner Doms hinzugefügt. Deshalb kommt nun eine Nachbildung nach Bad Wilsnack, bei einer ganz besonderen "Wallfahrt", bei der Traktoren, Pferde und sogar Boote zum Einsatz kommen.

Ruhe für Erschöpfte in den Radwegekirchen am Weser-Radweg

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Radfahrer auf dem Weser-Radweg

Foto: Lena Ohm

Radfahrer auf dem Weser-Radweg im Weserbergland zwischen Holzminden und Heinsen.

Sommer, Sonne, Urlaub – endlich Zeit für eine kleine Radtour. Und wer nicht nur Erholung für müde Beine, sondern auch für den Geist sucht, ist in einer Radwegekirche richtig. evangelisch.de stellt die kirchlichen und historischen Höhepunkte auf dem Weser-Radweg im Weserbergland zwischen Höxter und Hameln vor – inklusive der vier Radwegekirchen.

Warum mir das 2018 wichtig war:Heimat - dieses Wort war 2018 in aller Munde. Jeder versteht etwas Anderes darunter, es ist schwer zu definieren und oftmals nicht wirklich greifbar. "Wo die Weser einen großen Bogen macht [...], da ist meine Heimat, da bin ich zu Haus", singen wir in meiner Heimat, dem Weserbergland, gern auf feucht-fröhlichen Volksfesten. Und so habe ich mich dieses Jahr mit dem Fahrrad aufgemacht, für die evangelisch.de-Leser die kirchlichen Höhenpunkte zwischen Höxter und Hameln (wieder) zu entdecken. Ich wollte anderen Menschen Lust auf diese doch recht abgelegene Region (knapp eine Stunde bis zur nächsten Autobahn) machen, die vielleicht gerade deshalb aus meiner Sicht einen ganz besonderen Charme entwickelt hat. Und ich habe selbst etwas gelernt: Manchmal wird man überrascht, wenn man Vertrautes mit anderen Augen sieht und so die eigene Heimat, der man schon vor Jahren räumlich den Rücken kehren musste, neu entdeckt. Diese Erfahrung und die Begegnungen mit den Menschen vor Ort machen diesen Artikel und die Bildergalerie so wertvoll für mich. - Lena Ohm, Redakteurin bei evangelisch.de

Blauer Himmel, strahlender Sonnenschein: viele Menschen schlendern langsam über den Höxteraner Markt. Eine Verkäuferin unterhält sich über die Wursttheke hinweg mit einer Kundin, die Blumen am Stand gegenüber lassen wegen der Hitze langsam die Köpfe hängen und fast sämtliche Plätze vor den Cafés und Bäckereien sind voll besetzt.

Ein älteres Ehepaar in typisch-enganliegender Fahrradfunktionskleidung guckt sich interessiert die malerischen Fassaden der alten Fachwerkhäuser an, bevor sie nach kurzem Zögern die wenigen Stufen zur St.-Nikolai-Kirche hinaufgehen und das katholische Gotteshaus betreten. Erfrischende Kühle und dämmriges Licht empfängt die beiden. Ein paar Menschen sitzen bereits in den vorderen Reihen – es ist Zeit fürs kurze Mittagsgebet. Priester Jonas Klur lädt das Pärchen zum Mitbeten ein. Sie zögern, wirken verunsichert und setzen sie sich dann doch dazu. "Das ist schon typisch. Viele stolpern sozusagen etwas unverhofft hier rein, nehmen die Einladung zum Beten und Reden dann aber doch an", erzählt Klur.

Der 30-jährige Jonas Klur ist noch nicht lange Priester in Höxter.

Nach der kurzen Andacht sucht der Mann das Gespräch mit dem Priester: Vor einer Woche sei der Cousin seiner Frau mit seinem Motorrad tödlich verunglückt, das habe sie beide sehr mitgenommen. Um den Kopf frei zu kriegen, seien sie aufs Fahrrad gestiegen und schließlich hier gelandet. "Und dieses kurze Gebet und das Innehalten hier haben so gutgetan. Das war eine so wunderbare Überraschung, das hätte ich nicht besser planen können." So ein Lob freut Jonas Klur natürlich. Und es zeigt: die offenen Kirchen entlang des Weser-Radweges können mehr sein als nur architektonische Sehenswürdigkeiten.

Rund eine viertel Million Menschen waren im vergangenen Jahr laut Martin Weiher von Weserbergland Tourismus e.V. auf dem Weser-Radweg unterwegs, der von Hann. Münden im Weserbergland bis Cuxhaven an der Nordsee verläuft. In der ADFC-Radreiseanalyse 2017 ist der Weser-Radweg sogar als zweitbeliebtester Radfernweg Deutschlands ausgezeichnet worden. 15 evangelische Radwegekirchen verteilen sich auf die rund 500 Kilometer lange Strecke – vier davon liegen auf der zwei-Tages-Etappe durchs Weserbergland zwischen Höxter und Hameln.

Bildergalerie
Stationen am Weser-Radweg im Weserbergland
Stationen am Weser-Radweg im Weserbergland

Rainer Siegel ist mit seiner Familie aus Düsseldorf angereist, um in zehn Tagen den Weser-Radweg entlang zu fahren. Die Mischung aus Sport, Kultur und frischer Luft reizt ihn. In der St. Kiliani Kirche in Höxter bewundert er zusammen mit seiner Tochter die Barockorgel, die Epitaphen und die Kreuzigungsgruppe am Altar. "Ich habe jetzt nicht unbedingt in jeder Kirche hier auf dem Weg ein spirituelles Erlebnis", gesteht Siegel, der sich selbst als recht frommen Mann bezeichnet, lächelnd, "aber ich bete gerne wenigstens ein Mal in jeder Kirche, an der wir vorbeikommen." Das Fahrradfahren ist für den Körper, der Kirchenbesuch für die Seele.

Vom Konzept der Radwegekirchen ist er begeistert: "Ich finde es fantastisch, dass die offenen Kirchen für Radfahrer zu einer Anlaufstelle werden. So bieten die Kirchen den Menschen, was sie gerade brauchen." Radwegekirchen erkennt man an einem speziellen Signet. Um es zu bekommen, müssen sie bestimmte Kriterien erfüllen: Zwischen Ostern und dem Reformationstag müssen sie zum Beispiel tagsüber verlässlich geöffnet sein. Außerdem bieten sie Radfahrern in der Regel geeignete Abstellmöglichkeiten für Fahrräder mit Gepäck, Orte zum Rasten, sie legen Informationen zum Radweg, zu Übernachtungsmöglichkeiten oder zur nächstgelegenen Fahrradwerkstatt aus und ermöglichen den Zugang zu Trinkwasser und Toiletten.

Rainer Siegel und Familie wollen in zehn Tagen den Weser-Radweg erkunden.

"Die Kirchen hier in der Region sind definitiv touristische Ausflugsziele und werden von den Radfahrern wahrgenommen", bestätigt auch Martin Weiher. Zwar seien die Kirchen bei den wenigsten Radfahrern der Hauptgrund für die Fahrt, aber viele hielten halt doch gerne an, um sie sich anzusehen. Deswegen gibt es in der App "Historisches Weserbergland" und auf der gleichnamigen Seite auch die Kategorie "Glaubenswege": von Mausoleen über Kirchen und Klöster bis hin zu ungewöhnlichen Kirchenmännern wird dort die Bandbreite des touristisch interessanten, religiösen Lebens im Weserbergland vergangener Zeiten dargestellt.

Ein absolutes Highlight etwas weiter die Weser entlang ist das UNESCO-Weltkulturerbe Corvey. Das heutige Schloss und ehemalige katholische Benediktinerkloster besuchen laut Michael Funk, Geschäftsführer des Kulturkreis Höxter-Corvey, jährlich rund 100.000 Menschen. An das Dasein Corveys als Zentrum der christlichen Kultur in Nordwesteuropa im 9. und 10. Jahrhundert erinnert heute vor allem das erhalten gebliebene Westwerk. Die karolingischen Abteigebäude wurden während des Dreißigjährigen Krieges stark zerstört, der Neubau der Abtei erfolgte als barocke Residenz.

Blick auf den Altar der römisch-katholischen Pfarrkirche St. Stephanus und St. Vitus in Corvey.

Der wohl berühmteste Bewohner Corveys war August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der neben vielen bekannten Kinderliedern ("Summ-Summ-Summ", "Ein Männlein steht ihm Walde") auch das "Lied der Deutschen" geschrieben hat. Als politisch Verfolgter, so Funk, habe Hoffmann von Fallersleben in Corvey Asyl bekommen und dort als Bibliothekar arbeiten können. "Unsere Nationalhymne wurde also sozusagen von einem Flüchtling gedichtet", sagt Michael Funk.

Andrea Kochniß hat an diesem Tag ihren ersten Arbeitstag als Museumsaufsicht – vorher war sie lange Zeit fast jede Woche als Besucherin dort. "Mein Lieblingsort ist der Kreuzgang", sagt sie ohne zu zögern. "Diese Ruhe, diese Erhabenheit, diese Ausstrahlung – hier auf dem Gelände kann ich meine Gedanken schweifen lassen. Dieser Ort ist immer wieder etwas ganz Besonderes für mich", erzählt sie. Das liegt vielleicht auch ein bisschen daran, dass sie hier 2014 ihren jetzigen Ehemann Axel Kochniß kennengelernt hat. Im April 2017 dann die Hochzeit – natürlich in Corvey. Ihr Mann gehört wie sie zum Team der Museumsaufseher. Sein Geheimtipp: der Friedgarten.

Für Axel und Andrea Kochniß ist Corvey ein ganz besonderer Ort.

An der Weser entlang führt der Radweg weiter nach Holzminden. Auch hier sind die Plätze vor den Eiscafés und Pizzerien auf dem Marktplatz gut gefüllt. Von vielen Tischen aus kann man die Lutherkirche sehen, die seit 2012 offizielle Radwegekirche ist. Auf dem Platz vor der Kirche steht eine der zahlreichen Duftstelen, die überall in der "Stadt der Düfte und Aromen" (einer der weltweit größten Duft- und Aromastoffhersteller, Symrise, hat in Holzminden seinen Hauptsitz) zu finden sind. Hebt man den Deckel, bekommt man eine Vorstellung davon, wie das im 2. Buch Mose (30, 22–33) erwähnte "Heilige Salböl" wohl gerochen haben muss – eine Kombination aus Myrrhe, Zimt, Kalmus und Kassia.

Die Orgel der Lutherkirche in Holzminden.

Die kühle Luft in der Lutherkirche legt sich beruhigend auf die von der Sonne und dem Fahrradfahren erhitze Haut. Die ersten Töne des "Frühling" aus Vivaldis "Vier Jahreszeiten" hallen durch den Raum – der Organist probt gerade für das am Abend stattfindende Konzert. Einige Besucher setzen sich in die Kirchenbänke. Manche haben den Blick nach vorne in den reich verzierten Altarraum gerichtet, andere genießen die Musik mit geschlossenen Augen. "Wir bieten eine Musik zur Marktzeit an und 20-minütige Kurzkonzerte, damit sich die Menschen kurz aus ihrem Alltag ausklinken können", erklärt Anne-Kathrin Bode, Pastorin der Lutherkirche.

Gerade im Sommer merke sie anhand der meist vollbestückten Kerzenkugel und den vielen kleinen Gebetszetteln am schlichten Holzkreuz neben dem Taufbecken, dass in der Kirche viel Betrieb herrsche. Hin- und wieder werde sie auch mal auf den liebevoll restaurierten Altarraum angesprochen. Es überrasche die Leute, so etwas in einer Kleinstadt vorzufinden. "Es kommen sehr viele Radtouristen vorbei, deshalb haben wir für die Radfahrer auch extra Flyer entwickelt, die ihre Bedürfnisse im Blick haben", so Bode. Seit März 2012 ist die Lutherkirche offiziell Radwegekirche, die Aufnahme in die Liste sei ein "naheliegender Schritt" gewesen.

Selfie auf dem Weser-Radweg

Lässt man Holzminden auf der Hauptroute mit dem Fahrrad hinter sich, erstrecken sich rechts und links des Weser-Radwegs zuerst einige Kilometer lang Kornfelder und Wiesen. Auf der Weser tummeln sich die Wassersportler: Hier fahren nicht nur Motorbote, Kanus, Kajaks, Flöße oder Schlauchbote, dieser Bereich ist auch für Jetskis und Wasserski freigegeben. Schattiger wird die Strecke erst kurz hinter Forst, wo die Weser einen leichten Bogen macht. Steil erhebt sich das Bruchholz zur rechten der Fahrradfahrer und wirft einen Schatten auf den Fahrradweg. Schon aus der Ferne erkennt man einen Kirchturm und die ersten Häuser eines Dorfes: Heinsen.

Verlässt man den gut ausgebauten Fahrradweg, kommt man zur kleinen Fähranlegestelle. "Fährmann, hol'über", steht auf dem kleinen Schild neben einer Glocke. Von hier hat man einen wunderschönen Blick: auf den Weserbogen, auf eine Reihe alter Fachwerkhäuser und auf die Kirche St. Liborius direkt am anderen Ufer, deren Umrisse sich im Wasser spiegeln.

An schönen Sommertagen ist die Heinser Fähre fast ständig unterwegs.

In diesem Abschnitt des Weser-Radweges gibt es in relativ kurzen Abständen gleich drei Fähren, mit denen man zwischen den beiden Weserseiten hin- und herwechseln kann: die in Heinsen, eine historische Gierseilfähre einen Ort weiter in Polle und eine Solarfähre in Grave. In Polle lohnt sich ein Zwischenstopp auf der Burgruine der Grafen von Everstein. Dort ist das angedichtete Zuhause von Aschenputtel, welches sich regelmäßig beim Aschenputtel-Freilichtspiel seinen Fans zeigt. Und man hat von der Burgruine aus einen fantastischen Blick über das Wesertal.

Durch die Rühler Schweiz mit der Radwegekirche St. Markus in Dölme führt der Weser-Radweg weiter nach Bodenwerder– die Heimatstadt des sagenumwobenen Barons von Münchhausen. Die Spuren des unvergleichlichen Fabulierers sind in der Stadt nicht zu übersehen: das zu Beginn des 17. Jahrhunderts erbaute Herrenhaus der Adelsfamilie dient heute als Rathaus, die Tourist-Information ist im ehemaligen Brennereihaus untergebracht und drei Brunnen erzählen von Münchhausens Abenteuern – unter anderem von seinem legendären Ritt auf einer Kanonenkugel.

Von Bodenwerder aus geht es weiter nach Grohnde, wo sich eine erneute Fährfahrt mit einer historischen Gierseilfähre lohnt. Denn von dieser Weserseite aus ist ein kleiner Schlenker über den Emmer-Radweg zu einer der schönsten Renaissanceanlagen in ganz Deutschland ein Muss: dem Schloss Hämelschenburg. Zu dem Weserrenaissanceschloss gehört auch die St.-Marien-Kirche, die ebenfalls Ziel auf dem Pilgerweg Loccum – Volkenroda ist. Die Kirche gehört zu den ersten Kirchen Norddeutschlands, die nach der Reformation gebaut wurden. Sie ist die älteste freistehende evangelische Kirche in Deutschland.

Schlusspunkt der zweiten und letzten Etappe auf dem Weser-Radweg ist die Rattenfänger-Stadt Hameln. Neben den alten Fachwerkhäusern beeindruckt vor allem der Anblick des Münsters St. Bonifatius. "Unsere Kirche ist definitiv ein Touristenmagnet, auch für Radfahrer", bestätigt die Pfarrerin Friederike Grote.

Der Blick vom Hohen Chor im Münster St. Bonifatius in Hameln.

Beim Betreten des Gotteshauses wird jeder Besucher persönlich freundlich begrüßt: Die Kirchengemeinde hat seit mehr als 20 Jahren eine sogenannte "Willkommensgruppe", in der es sich Ehrenamtliche zur Aufgabe gemacht haben, Besuchern im Münster bei Fragen zur Seite zu stehen. "Zehn Prozent der Touristen suchen am Ende das Gespräch", schätzt Küster Joachim Ruppel. Pfarrerin Friederike Grote sieht die Bestrebungen der offenen Kirchen als gute Tradition. "Wir suchen immer nach neuen Wegen, uns zu öffnen. Denn Offenheit ist doch ein Zweck von Kirche und Gemeinde", so Grote.

Da das Münster St. Bonifatius in Hameln nicht nur seit sechs Jahren Radwegekirche ist, sondern auch am Pilgerweg Loccum-Volkenroda liegt, gibt es im Münsterhaus auch eine Übernachtungsgelegenheit. Die steht aber nicht nur Pilgern offen, auch Radfahrer, die spontan eine Unterkunft brauchten, wurden dort schon einquartiert. "Dieses Strahlen, wenn den Leuten plötzlich in der Kirche geholfen wird. Und spätestens, wenn sie die Duschen sehen, fallen sie dir um den Hals", erzählt Ruppel lachend.  

Ob Duschen, Toiletten, Wasser oder Schokoriegel für die körperlichen - oder Andachten, Orgelmusik, Kerzenbäume oder Gebetsbücher für die geistigen Bedürfnisse: Die Radwegekirchen im Weserbergland lassen sich einiges einfallen, um müde Radfahrer zu versorgen. Und zeigen so, dass Kirche für die Menschen da ist.

Dieser Artikel erschien erstmals am 8. August 2018 auf evangelisch.de.

Kirche ganz anders - Die "Beymeister": Neuer Ort der Spiritualität in Köln

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"Beymeister" in Köln-Mülheim

© epd-bild/Jörn Neumann

Die Räume der "Beymeister" in Köln-Mülheim, einer innovativen Gemeinschaft von Christen im Rahmen der evangelischen Kirche, wollen einen Ort bieten, an dem sich der Stadtteil enger vernetzt, an dem sich Menschen einbringen und eine Gemeinschaft so gestalten.

Gemeinsam kochen, beten und Kaffeetrinken in einer ehemaligen Schneiderei: Die evangelische Gemeinschaft "Beymeister" in Köln-Mülheim ist keine klassische Kirchengemeinde. Gerade das macht sie für die Kirche attraktiv.

Miriam Hoffmann sitzt auf einem alten grünen Sofa und blickt auf gerahmte Porträtfotos, die an weiß getünchten Backsteinwänden hängen. Sie zeigen Alltagsszenen von Menschen etwa in Aserbaidschan, Indien, dem Irak oder Amerika. Mal sind es fröhliche Schulkinder, mal eine obdachlose Frau auf einem Müllberg. "Die Fotos hat jemand aus dem Viertel gemacht", erzählt die 34-Jährige. "Ein Lehrer, der auf seinen Reisen fotografiert." In diesem Raum treffen sich die "Beymeister" - Mitglieder einer kleinen christlichen Gemeinschaft in Köln, die neue und ungewöhnliche Wege geht.

Früher waren die Beymeister die verschiedenen Meister einer Zunft, die sich beratend und auf Augenhöhe zur Seite standen", erzählt Hoffmann. Daher hat das Projekt der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Mülheim seinen Namen. "Wir wollen einen Ort bieten, an dem sich der Stadtteil enger vernetzt, an dem sich Menschen einbringen und eine Gemeinschaft so gestalten, dass sie sich wohlfühlen." 

Die Gemeindereferentin und Laienpredigerin Miriam Hoffmann.
Hoffmann sitzt im "Wohnzimmer" der Beymeister: einer ehemaligen Schneiderei, deren Name noch auf dem großen Schaufenster prangt. Hier, kaum 50 Meter von der evangelischen Friedenskirche entfernt, treffen sich die Beymeister, trinken Kaffee und Tee, veranstalten Wohnzimmerkonzerte, kochen zusammen und beten miteinander - wenn das erwünscht ist. "Wir sind Kirche im Alltag", sagt Hoffmann, die Gemeindereferentin und Laienpredigerin ist. "Die Leute sprechen uns mit ihren Wünschen und Vorstellungen an, und wir versuchen, das dann umzusetzen."

Zusammen mit dem evangelischen Pfarrer Sebastian Baer-Henney probiert Miriam Hoffmann seit 2015 neue Wege für die Gemeindearbeit vor Ort aus und testet dabei eine Struktur, die Menschen mit ihren Bedürfnissen außerhalb von Kirchengebäuden ansprechen soll. "Unser Vorbild ist die Fresh-X-Bewegung", erklärt sie. Diese Bewegung bildete sich in den vergangenen 20 Jahren in der Anglikanischen Kirche von England unter dem Begriff "Fresh Expressions of Church" (deutsch: neue Ausdrucksformen von Kirche) heraus.

Die Bewegung geht davon aus, dass die traditionellen Ausdrucksformen der Kirche für einen Großteil der Bevölkerung unbedeutend geworden sind. Nach einer statistischen Erfassung der Church of England aus dem Jahr 2007 gehören mehrere zehntausend Menschen solchen Gruppen an.  

Zu den Beymeistern in Köln zählen 150 bis 200 Menschen, darunter ein "harter Kern" von 50 Leuten. "Die Menschen, die zu uns kommen, sind ganz unterschiedlich", sagt die 24-jährige Eva Kurrer, die Religions- und Gemeindepädagogik studiert und ihr Praxissemester bei den Beymeistern absolviert. "Die meisten sind zwischen 25 und 45 Jahre alt, sie sind Protestanten, Katholiken oder gar nichts." Sie alle verbinde, dass an diesem Ort "ihre Spiritualität Raum findet".

Treffpunkt ist eine ehemalige Schneiderei. Neue Gemeindeformen beschaeftigen auch die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland, die vom 6. bis 11. Januar 2019 in Bad Neuenahr tagt.
"Offiziell sind sie Teil der Ortsgemeinde Köln-Mülheim, "aber mit klaren Abgrenzungen", betont Hoffmann: "Wir sehen unsere Rolle nicht darin, Menschen zu fischen, um sie in die Gemeinde zu überführen." Der Kirche würden auch keine Mitglieder abgeworben: "Die Menschen, die zu uns kommen, suchen etwas ganz anderes als traditionelle Kirche." Es gehe darum, die klassische Kirche zu ergänzen, um ein breiteres Spektrum abzudecken.

Für die Kirche seien die Beymeister eine Art Versuchslabor und zugleich ein Vorzeigeprojekt: "Presbyterien aus ganz Deutschland interessieren sich für die Beymeister." Die Evangelische Kirche im Rheinland will auf ihrer am Sonntag beginnenden Landessynode in Bad Neuenahr darüber entscheiden, wie solche innovativen und kreativen Projekte gefördert werden können, damit sie auch an anderen Orten Schule machen. Unkonventionelle Gemeindeformen neben der klassischen Ortsgemeinde sollen einen Mentalitätswandel in der Kirche voranbringen.

Eine Schwierigkeit ist bisher die Finanzierung: Zwar gebe es Unterstützung durch die Landeskirche, sagt Hoffmann. Doch die Miete für die ehemalige Schneiderei müssten die Beymeister selbst aufbringen, mit Hilfe von Crowdfunding über die Website. Auch Hoffmanns Stelle als projektbezogene Gemeindereferentin hängt am seidenen Faden: "Meistens weiß ich im Dezember nicht, ob ich im Januar noch einen Job habe." Doch darüber macht sich die zweifache Mutter kaum Gedanken: "Ich wollte das hier unbedingt machen, dafür habe ich zwei Festanstellungen ausgeschlagen."


Magazin "chrismon" sucht "Gemeinde 2019"

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Chrismon Gemeindeaktion 2019

© Chrismon Gemeindeaktion 2019

Ab sofort können sich Gemeinden für die mit insgesamt 25.000 Euro dotierten Preise bewerben.

Das evangelische Monatsmagazin "chrismon" sucht die "Gemeinde 2019". Ab sofort können sich Gemeinden für die mit insgesamt 25.000 Euro dotierten Preise bewerben, ab dem 12. März kann jeder auf der Internetseite der Zeitschrift für seine Lieblingsgemeinde abstimmen.

Mit dem Jurywettbewerb mit Publikumsbeteiligung sollen das Engagement von Kirchengemeinden gewürdigt und herausragende Projekte gefördert werden, wie "chrismon" am Montag in Frankfurt am Main mitteilte.

Aus den 30 Gemeinden, die bis zum 4. April unter "www.chrismongemeinde.de" am meisten Stimmen bekommen, wird eine Jury fünf Projekte für die ersten Plätze auswählen. Zudem vergeben die Juroren sieben Förderpreise in Kategorien wie "Besonderer Gottesdienst", "Jugend" und "Flüchtlingsarbeit". Auch die drei beim Publikum beliebtesten Gemeinden sollen Geld erhalten. Erstmals wird zusätzlich ein mit 5.000 Euro dotierter Sonderpreis von "Brot für die Welt" an eine Gemeinde vergeben, die sich in besonderer Weise um die Lebensverhältnisse von Menschen in armen Regionen weltweit kümmert.

Mitmachen kann jede evangelische, katholische oder freikirchliche Gemeinde, die der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) angehört.



Die Zeitschrift "chrismon" liegt monatlich mit einer Auflage von 1,6 Millionen Exemplaren unter anderem in den Zeitungen "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Süddeutsche Zeitung", "Welt", "Welt am Sonntag" und "Zeit". "chrismon" erscheint seit 2006 unter dem Dach des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik (GEP). Die zentrale Medieneinrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland trägt auch die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd).

Änderung der Pfarrstellenbesoldung: Pfarrstelle nicht mehr gleich Pfarrstelle?

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Pfarrstellenbesoldung

© Getty Images/iStockphoto/BrankoPhoto

Gibt es bald eine Pfarrstellenbesoldung je nach Inhalt der Ausbildung und nach Verantwortungsbreite?

Die Pfarrstellenbesoldung müsse in Zukunft angesichts des Pfarrermangels der Berufslogik folgen, findet Theologieprofessor Eberhard Hauschildt vor. Und nach diesen Kriterien stellt er sich die Abstufungen vor.

Die Kirchen haben es zunehmend schwer, Pfarrernachwuchs zu finden. "Jugendliche und neue Berufstätige sind ein rares Gut geworden", sagte der Theologieprofessor Eberhard Hauschildt dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Das gilt auch für den Pfarrberuf." Die evangelische Kirche habe früher zu viele Bewerber gehabt, die nicht alle hätten eingestellt werden können. Inzwischen gebe es zu wenige Bewerber, aber mehr Anstellungsmöglichkeiten, sagte der Professor für Praktische Theologie an der Universität Bonn. In den kommenden Jahren gehen zahlreiche Theologen der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand.

"Bei der Frage nach der Pfarrstellenbesoldung der Zukunft, plädiere ich dafür, der Berufslogik zu folgen", sagte Hauschildt. Dann gebe es Stufungen je nach Länge und Inhalt der Ausbildung und nach Verantwortungsbreite. In Masterstudiengängen für Quereinsteiger sei beispielsweise die Ausbildung in den Sprachen der Bibel geringer. "Auf der anderen Seite haben diese Personen Leitungserfahrungen und bringen einen anderen akademischen Beruf mit", erläuterte der Wissenschaftler.

Zur Verantwortungsbreite zählt er etwa die Frage, ob ein Pfarrer eine Gemeinde mit 500 oder mit 4.000 Menschen leitet. Einen Unterschied mache auch, für wie viele weitere Berufstätige die Amtsinhaber Personal- und Organisationsverantwortung haben.

"Ich plädiere dafür, diese Unterschiede auch abzubilden", sagte Hauschildt. Das ermögliche etwa durch zusätzliche Ausbildung oder mehr Erfahrung auch einen Aufstieg. "Das würde bedeuten, dass Pfarrstelle nicht einfach mehr gleich Pfarrstelle ist", unterstrich der Theologe. Eine größere Planung der Pfarrstellen sei dann auf der Ebene der Kirchenkreise nötig.

Die Kirche ist nach den Worten des Theologieprofessors stärker vom Bevölkerungsrückgang betroffen als die Gesamtgesellschaft. "Die evangelische Kirche schöpft im Speziellen keine Demografie- oder Migrationsgewinne ab", sagte Hauschildt. "Katholiken, die beispielsweise nach Deutschland emigrieren, landen auch in der katholischen Kirche." Protestanten, die beispielsweise aus Afrika einwandern, fühlten sich dagegen eher Freikirchen zugehörig oder organisierten eigene Freikirchen.

Neuer Preis kürt vorbildliche Öffentlichkeitsarbeit in der Kirche

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Ansprechende Gemeindebriefe, moderne Internetauftritte und gelungene Social-Media-Aktivitäten will die evangelische Landeskirche künftig mit einem neuen Preis belohnen.

© ELKB

Die Kommunikation mit den Gemeindegliedern wird immer wichtiger - deswegen sollen gelungene Aktivitäten in der bayerischen Landeskirche jetzt belohnt werden.

Das Engagement für gute Öffentlichkeitsarbeit der Kirchengemeinden in der bayerischen Landeskirche soll in Zukunft mit einem besonderen Preis geehrt werden. So sollen die "Juwelen" laut Landesbischof Bedford-Strohm sichtbarer werden.

Ansprechende Gemeindebriefe, moderne Internetauftritte und gelungene Social-Media-Aktivitäten will die evangelische Landeskirche künftig mit einem neuen Preis belohnen. Unter den Gemeindebriefen in Bayern fänden sich viele Juwelen, erklärte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm am Dienstag laut einer Mitteilung. Sie und das dahintersteckende Engagement für gute Öffentlichkeitsarbeit sollen mit der neuen Auszeichnung noch sichtbarer gemacht werden.

Der Preis ist mit mehr als 6.000 Euro dotiert und soll erstmals während der Tagung der Landessynode Ende März in Lindau verliehen werden. Bewerben könnten sich Kirchengemeinden mit einem besonders gelungenen Gemeindebrief, einer ansprechenden gemeindlichen Webseite oder Social-Media-Aktivitäten. Einen Zusatzpreis gibt es für das beste Konzept der Nutzung mehrerer Kommunikationskanäle. Bewerbungsschluss ist der 15. Februar.

"Datei öffnen, Predigt lesen, Datei wieder schließen"

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Jonas Goebel aus Hamburg bietet auf seinem Blog einen Leseservice für seine Predigttexte an
digitale Predigt

Foto: epd-bild/Philipp Reiss

Gottesdienstteilnehmer mit ihren Smartphones.

Jonas Goebel, 29-jähriger angehender Pastor in Hamburg, geht einen nicht unbedingt neuen, doch anderen Weg zur Verkündigung der christlichen Botschaft: Bevor er im Gottesdienst predigt, haben die Menschen die Möglichkeit, seine Texte zu lesen. Dafür können sie sich auf seinem Blog anmelden.

Herr Goebel, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihre Predigten lesen zu lassen?

Jonas Goebel: Ich habe mir verschiedene Ideen für die Vor- und Nachbereitung meiner Predigten mit mehren Leuten gemacht. Daran sollen sich auch Nicht-Theologen beteiligen können. Meine erste Idee war ein "Predigt-Bier". So habe ich das genannt.

Mehr zu Jonas Goebel

Predigt-Bier?

Goebel: Ja. Das Motto lautete "Eine Stunde, ein Bier, ein Text". Ich hatte Freunde und Bekannte eingeladen, mit mir eine Stunde über einen Text zu sprechen, über den ich demnächst predigen musste: Ich gebe Euch den Text, ich gebe Euch ein Bier und dann unterhalten wir uns darüber. Das war total spannend, weil wir so über Fragen ins Gespräch gekommen sind, die auch Nicht-Theologen an diese biblischen Texte hatten.

Das hat mir bei der Predigtvorbereitung sehr geholfen. Aber ich merkte, das ist die eine Seite. Nur: Was ist mit der Predigt? Kommt an, was ich aussagen möchte? Oder: Was kommt überhaupt bei den Menschen an? Mir fehlte bislang das Feedback. Das gibt es im Gottesdienst selten. Deshalb habe ich meinen Blog unter www.juhopma.de genutzt und ins Blaue hinein Testleser gesucht. Ich schicke ein paar Tage, bevor ich die Predigt halten muss, den Text an Menschen, die ich gar nicht kenne, und stelle dazu ein paar Fragen.

Und wie funktioniert das genau?

Goebel: Man kann sich auf meiner Webseite als Testleser eintragen lassen. Danach bekommt man von mir ab und zu eine E-Mail. Darin steht dann: "Hey, hast Du kurz Zeit, einen Text zu lesen? Hier findest Du meine Predigt." Die ist als PDF-Download mit meiner Cloud verlinkt. Meine erste Bitte ist immer: Datei öffnen, Predigt lesen, wieder schließen und nicht noch einmal öffnen. Dann stelle ich Fragen, zum Beispiel: Was ist bei Dir als Kernsatz hängengeblieben? Oder: Wenn Du die Predigt in einem Satz zusammenfassen müsstest, wie lautet der? Gibt es einen Punkt, an dem Du aus der Predigt ausgestiegen bist? Hast Du Dich über etwas geärgert? Hat Dich etwas berührt?

Ich möchte möglichst nah an ein echtes Predigtgeschehen herankommen

Warum sollen die Leser die Predigt-Datei nicht ein zweites oder gar ein drittes Mal öffnen?

Goebel: Sie wird im Gottesdienst ja auch nur einmal gehört. Bei mehrmaligem Öffnen kann man zurückspulen und die Stelle noch einmal lesen, über die man vielleicht gerade gestolpert ist. Ich möchte möglichst nah an ein echtes Predigtgeschehen herankommen. Ideal ist es natürlich, wenn ich eine Video- oder Audiodatei schicken würde. Das scheitert aber zurzeit noch an meiner technischen Ausstattung.

Wie waren bislang die Reaktionen der Nutzer dieses Angebots? Welche Themen greifen Sie auf?

Goebel: Weihnachts-, Oster- und die ganz gewöhnliche Sonntagspredigten greife ich auf. Was ich nicht mache, sind Kasualien, also Beerdigungen und Co. Das ist am Ende zu persönlich und nur für die Angehörigen gedacht. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich: Von "Klasse Predigt, hat mich total berührt" bis hin zu "Fand ich total langatmig und langweilig!" oder "Ich hab' schon besseres von Dir gehört!". Dadurch, dass es eine gewisse Anonymität für die Nutzer gibt, sind die Rückmeldungen beziehungsweise die Antworten ehrlich.

Gibt es eine Reaktion, an die Sie sich besonders gerne erinnern?

Goebel: Ich erinnere mich gerne an die Predigten, zu denen mir jemand schreibt, dass er sich berührt fühle. Das ist natürlich wesentlich schöner, weil ich ja schon viel Zeit investiert habe, bevor ich sie rausgebe. An eine bestimmte Predigt kann ich mich zurzeit aber nicht erinnern; dafür sind es am Ende zu viele.

Gibt es eine Predigt, bei der Sie richtig viel nachjustieren mussten?

Goebel: Ja, Ostern war für mich während des Vikariats die größte Herausforderung. An der Endfassung habe ich Karfreitagnacht noch gesessen. Zu dem Text hat auch mein Anleiter gesagt, ich müsse noch einmal da ran. Das Feedback der Testleser reichte von "Ich habe schon Besseres gelesen"über "Das habe ich nicht verstanden" bis "Da bin ich nicht mehr mitgekommen". Die Predigt habe ich nicht neu geschrieben, aber radikal verändert.

Worum ging es darin?

Goebel: Ich habe versucht, die Freiheit zu beschreiben, die durch Jesus' Auferstehung entsteht. Es war eine Taufe, auf die ich mich sehr gefreut habe. Deshalb habe ich versucht, eine Mischung aus Persönlichem in Bezug auf den Täufling und eher Allgemeinem zu finden. Ich war nicht so ganz zufrieden, aber die Testleser waren es noch viel weniger.

Aber das treibt einen auch an, es beim nächsten Mal besser zu machen. Im Vikariat hatte ich glücklicherweise mit Heiko Landwehr von der Osterkirche Bramfeld einen guten Anleiter. Das habe ich demnächst nicht mehr. Auf meine Predigt schaut keiner mehr drauf. Von daher ist mein Testlese-Angebot auch so etwas wie ein Suchfeld: Woher bekomme ich Feedback für das, was ich am Sonntag im Gottesdienst verzapfe?

Unterscheiden sich die Reaktionen Ihrer Testleser an Feiertagen wie dem bevorstehenden Weihnachtsfest oder Ostern von gewöhnlichen Sonntagspredigten?

Goebel: Das hängt davon ab, wie die Leser ihre eigene Rolle definieren. Entweder bleiben sie bei sich oder sie denken den Kontext mit und fragen: "Glaubst Du wirklich, dass Du das Heiligabend predigen kannst?" Sie beziehen ihre Antworten in das größere Ganze ein. Da kommen zum Beispiel Hinweise auf die Menschen, die sonst nicht in die Kirche kommen, sich in meiner Predigt aber zehn Mal Kirchensprech findet.

An welchen Tagen sind die Reaktionen intensiver? An Weihnachten oder zu Ostern?

Goebel: Ich habe mehr Rückmeldungen zu hohen Tagen bekommen. Aber ich muss einschränken, dass ich natürlich sehr singulär in meinen Erfahrungen bin, weil ich als Vikar jedes Fest nur ein Mal mitgemacht habe. Wenn da stand "Weihnachtspredigt", waren es mehr Rückmeldungen als zu gewöhnlichen Sonntagspredigten.

Spüren Sie den Wunsch nach Spiritualität der Menschen, über den ja auch immer wieder diskutiert wird, in Ihren Antworten?

Goebel: Ich glaube, die meisten meiner Testleser gehen mehr oder weniger in einen Gottesdienst. Da gibt es eine Bandbreite von Insidern, die gefühlt mehr Bibelwissen haben als ich und anderen, die vorsichtig und tastend unterwegs sind. Aber ich glaube nicht, dass da Leute sind, die ihre Spiritualität außerhalb der Kirche suchen.

Warum bloggen Sie überhaupt? Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Goebel: Mein Hauptanliegen ist erst einmal der Austausch. Während des Studiums habe ich es mal mit dem Schreiben von Büchern versucht. Ich hatte den Drang, etwas heraus zu geben. Ich wollte Antworten und ins Gespräch kommen. Doch merkte ich, dass Bücher in meiner Reichweite dafür nur begrenzt spannend sind: Das lasen meine Familie und die Freunde meiner Familie, aber dann hat es aufgehört. Der Blog ist der Versuch, in einer potenziell unendlich weiten Welt eigene Ideen, eigene Sorgen, eigene Ideen heraus zu tragen und zu schauen, was passiert.

Vikar Jonas Goebel lädt die evangelisch.de-Nutzer zum Testlesen seiner Predigten ein.

Nutzen Sie dafür auch Social Media-Plattformen?

Goebel: Ja, ich bin auf Facebook, Twitter und Instagram vertreten. Nur Snapchat ist an mir vorbeigegangen.

Erreichen Sie mit Ihren Online-Aktivitäten jüngere Leute? Schließlich sucht die Kirche händeringend Nachwuchs.

Goebel: Es ist ja die Frage: Was sind Jüngere. Unter den Leuten, die mein Angebot nutzen, sind keine Jugendlichen. Außer vielleicht die Teamer aus meinem Konfirmandenunterricht. Es sind Erwachsene, und ich behaupte mal, es bleibt im kirchlichen Kernklientel. Für mich ist der Gottesdienst der Mittelpunkt des gemeindlichen Leben. Ich glaube nicht, dass der Blog dazu führt, dass mehr junge Leute in den Gottesdienst kommen. Vielleicht haben mehr jüngere Leute mit mir über den Blog kommuniziert haben. Aber ich glaube nicht, dass es der Weg ist, sie in die Gemeinde zu führen. Deshalb ist ein Angebot wie meines keine Antwort auf die Vergreisung der Kirche.

Was ist der nächste Schritt Ihrer Online-Aktivitäten?

Goebel: Für mich steht jetzt erst einmal der große Schritt an, meine erste Stelle anzutreten. Deshalb ist für mich die Frage, wie ich den Blog dort aufrecht erhalten kann. Ich muss schauen, ob es sich gut anfühlt, wenn ich am Sonntag auf der Kanzel stehe und nur die Hälfte der Leute weiß, dass ich in der Woche etwas gepostet habe. Wie es weitergeht, hängt am Ende von der Präsenz der Gemeinde ab. Wenn es eine starke digitale Präsenz gibt, möchte ich lieber dort als Pastor auftreten als unter meiner eigenen.

US-Studie: Viele junge Erwachsene gehen auf Distanz zur Kirche

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Kirche in Amerika

© surpasspro/stock.adobe

Amerikaner, die als Jugendliche regelmäßig in die Kirche gehen, wenden sich zwischen 18 und 22 zumindest vorübergehend von der Kirche ab.

Zahlreiche protestantische Christen in den USA, die als Jugendliche am Gemeindeleben teilnehmen, gehen einer Studie zufolge als junge Erwachsene zumindest zeitweilig auf Distanz zur Kirche.

Hauptgründe seien veränderte Lebensumstände, ein mangelndes Gefühl der Verbundenheit zur Gemeinde und abweichende Ansichten zu sozialen oder politischen Fragen, hieß es in der Erhebung des evangelikalen Instituts LifeWay Research. "Protestantische Kirchen erleben, wie die kommende Generation im jungen Erwachsenenalter fortbleibt", zitierte der baptistische Informationsdienst "Baptist Press" am Mittwoch (Ortszeit) den Forschungsdirektor von LifeWay, Scott McConnell.

Für die Studie befragte das in Nashville im US-Staat Tennessee ansässige Institut 2.002 US-Amerikaner im Alter zwischen 23 und 30 Jahren. Zwei Drittel (66 Prozent) der Befragten, die als Jugendliche regelmäßig in die Kirche gegangen seien, hätten sich zwischen 18 und 22 zumindest vorübergehend von der Kirche entfernt, hieß es.

Die Erhebung müsse protestantischen Kirchen Sorgen machen, erklärte der bei LifeWay für Jugendarbeit zuständige Experte Ben Trueblood. Offenbar seien die Erfahrungen mit Religion im Jugendalter nicht ausreichend, um junge Erwachsene dazu zu bewegen, eine Verbindung zur Kirche aufzubauen. Gemeinden müssten strategisch denken und sich mehr um junge Menschen im Übergangsalter kümmern.

"Dass Gott den Menschen geschaffen hat, zeugt von Humor"

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Interview mit dem Theologen, Songpoeten und Geschichtenerzähler Martin Buchholz
Martin Buchholz

Foto: Sergej Falk

Portrait von Martin Buchholz.

Martin Buchholz hat Theologie studiert, wollte aber immer Geschichten erzählen. Das macht er als Songpoet und Vortragskünstler auf der Bühne, bei Kirchentagen und in Gottesdiensten, aber auch als Filmemacher in Dokumentationen und Reportagen fürs Fernsehen. Seine Geschichten handeln von offenen Fragen, Glaubenserfahrungen und dem Leben. Und weil das Leben mal zum Lachen und mal zum Weinen ist, sind seine Geschichten genauso. Ein Gespräch mit dem Mann, der sich als eine Mischung aus James Taylor, Reinhard Mey und seinem Vorbild Hanns-Dieter Hüsch versteht - über Gottes Humor, Toiletten in der Kirche und die Generation "Kopf runter".

Herr Buchholz, hat Gott Humor?

Martin Buchholz: Da sollten Sie am besten Gott selber fragen. Kann Gott sich selber auf den Arm nehmen? Eine spannende Frage. Denn darum geht es ja beim Humor: In Distanz zu sich selber zu treten und sich leicht zu nehmen. Allein die Tatsache, dass Gott den Menschen geschaffen hat, zeugt ja durchaus von Humor. Er hat uns sogar die Freiheit gegeben, über ihn zu lachen. Obwohl ich glaube, dass es eigentlich gar nicht geht, dass wir als Geschöpfe unseren Schöpfer auslachen.

Und doch lachen wir über Gott.

Buchholz: Wir lachen nicht über Gott selbst, sondern über die Bilder, die wir von ihm haben. Die sind angesichts unseres unvorstellbaren Gottes auch ein Witz. Vielleicht verdeutlicht es ein Bilderwitz: Eine Ente sitzt auf dem Thron und trägt eine Krone. Vor ihr steht ein Mann und starrt sie fassungslos an. Und die Ente sagt: "Was soll das denn heißen, Sie haben sich Gott anders vorgestellt?" Mir gefällt daran, dass der Witz mit unseren Vorstellungen von Gott spielt. Humor heißt hier, die eigenen Überzeugungen nicht zu ernst zu nehmen und in Frage stellen zu lassen. Die Bibel vermittelt uns Bilder, zeigt uns aber keine Fotos von Gott. In Matthäus 23, 37 wird er mit einem Huhn verglichen, das seine Küken behütet. Das klingt absurd, aber wir spüren, was damit gemeint ist.

Gehen so wenige Menschen in den Gottesdienst, weil das Konzept nicht unterhaltsam genug ist?

Buchholz: Welches? Ich bin viel unterwegs, sehe unterschiedliche Konzepte. Ein Gottesdienst ist keine Kabarett-Show. Wir sollten beides nicht verwechseln. Auch den Gottesdienst für sich gibt es nicht, sondern immer eine Gemeinde, die Gottesdienst feiert. Und wenn die Menschen aus der Gemeinde mit ihren Bedürfnissen vorkommen, sind das lebendige Gottesdienste. Schließlich ist die Kirche ein Ort in unserer Gesellschaft, an dem wir alle zusammenkommen können – und es geht mal nicht um Fußball.

"Man fragt sich gelegentlich, ob der Pfarrer primär Denkmalschützer oder Hirte seiner Gemeinde ist"

Dann hat Gottdienst viel mit Begegnungen zu tun?

Buchholz: Absolut. In Freikirchen gibt es den Baptistenkaffee. Da trinken alle nach dem Gottesdienst zusammen Kaffee. Manche freuen sich den ganzen Morgen darauf. Statt mit den Nachbarn am Gartenzaun zu reden, redet man mit den Leuten, die man am Sonntag in der Gemeinde trifft. Da erkundigt man sich, redet über das Wetter und den Urlaub. Das gehört dazu.

Gemeinsam Kaffee trinken ist zwar schön, aber meist gibt es in der Kirche nicht mal eine Toilette.

Buchholz: Nach den Erfahrungen, die ich gemacht habe, haben viele nachgebessert. Aber es ist tatsächlich ein Problem, dass viele kirchliche Gebäude unter Denkmalschutz stehen. Da kann man sich gelegentlich fragen, ob der Pfarrer primär Denkmalschützer oder Hirte seiner Gemeinde ist. Es geht auf Kosten der Gemeindearbeit, wenn er ständig schauen muss, dass der Putz nicht von den Wänden fällt und es nicht durch die Decke tropft.

"Kirche hat sich immer verändert"

Hat der Pfarrer denn neben all den Aufgaben noch Zeit für Kaffee mit der Gemeinde?

Buchholz: Kirche soll keine One-Man-Show des Pfarrers sein. Klar, von einem Pfarrer wird viel erwartet. Dennoch kommt der Pfarrer am Delegieren nicht vorbei. Es ist ja auch Sinn der Sache, den Menschen Aufgaben gemäß ihren Gaben zu geben, wenn man es neutestamentlich sagen will. Einige Menschen können gut zuhören und andere sind toll darin, etwas zu organisieren. Genauso ist Gemeinde gedacht.

Es geht also um Veränderungen?

Buchholz: Kirche hat sich immer verändert. Wenn sie das nicht tut, stirbt sie. Davon ist auch Luther ausgegangen. Wenn wir uns nicht mehr fragen, was Jesus Christus heute von uns will und aufhören, Neues ausprobieren, sind wir ein Club von Beamten, die auf ihre Pensionierung warten.

"Die Menschen kommen in den Gottesdienst, wenn er lebendig ist und in ihre Lebensplanung passt"

Inwiefern Neues ausprobieren?

Buchholz: Gerade war ich mal wieder in Schleswig-Holstein. Da gibt es einen engagierten Pfarrer, der macht einmal im Monat "Punkt 5". Das ist einen Gottesdienst um 17 Uhr. Er hat darauf reagiert, dass der Sonntagmorgen für Einige schwierig ist und nicht alle jeden Sonntag kommen. Da sitzen immer 200 Menschen - was nicht daran liegt, dass Schleswig-Holstein plötzlich ganz fromm geworden ist. Die Menschen haben eine Sehnsucht und kommen in den Gottesdienst, wenn er lebendig ist und in ihre Lebensplanung passt.

Dann muss Kirche sich unserer Lebenskultur anpassen?

Buchholz: Wo ich unterwegs bin, machen Menschen in der Kirche Kulturarbeit und werden dafür oft von Nachbargemeinden angefeindet, weil sie deren Friedhofsruhe stören. Mancher Pfarrer kriegt schon Ärger mit dem eigenen Kirchenvorstand, wenn er Kindergottesdienst in Räumen machen will, in denen sich in der Woche der Seniorenkreis trifft. Da bin ich schon erstaunt. Traditionen zu bewahren, ist gut und wertvoll. Aber nur zu sagen: "Das bleibt hier so, weil das immer so war" reicht nicht aus. Wollen wir Menschen, die darauf beharren, das Gestalten überlassen? Diese Frage müssen wir uns als Gemeinde stellen. Das ist nicht allein Sache des Pfarrers.

"Gottesdienst ist anders als die Welt, die wir jeden Tag erleben"

Apropos Lebenskultur. Müsste man digitale Medien nicht stärker einbeziehen?

Buchholz: Jede Gemeinde, die mal ein Lied singen will, das nicht im Gesangbuch steht, hat einen Beamer. Keine digitale Revolution, aber es macht Sinn. Jeder kann mitsingen und es müssen nicht erst Liedblätter gedruckt werden. Ansonsten ist das Schöne am Gottesdienst doch, dass er eine Anderswelt ist.

Eine Anderswelt?

Buchholz: Gottesdienst ist anders als die Welt, die wir jeden Tag erleben. Wir müssen nicht anfangen, Gottesdienste über Smartphones zu feiern. Wir leben schon in der Generation "Kopf runter". Da kann man den Kopf doch mal heben und gemeinsam singen, beten und den anderen ansehen. Einigen Menschen ist es schon zu intim, einen Gottesdienst im Kreis zu feiern, weil alle anderen sie dann sehen. Dadurch kommt man aber ganz anders ins Gespräch. Wenn wir einen Gottesdienst feiern, dann bitte ohne Smartphones. Die haben wir sowieso jede Minute um uns.

Wie sollte ein Gottesdienst sein, in den Sie gerne gehen?

Buchholz: Ich möchte in einen Gottesdienst gehen, in dem verschiedene Generationen ihren Platz haben. Die Kinder sind am Anfang dabei, bekommen dann ein eigenes Angebot, weil sie noch zu klein sind, um eine Predigt anzuhören. Wenn für die Kinder gesorgt ist, können die Mütter auch entspannt dabei sein. Es soll laut und kräftig gesungen werden – und zwar eine gute Mischung aus alten Liedern von Paul Gerhardt und neuen Liedern wie denen von Lothar Kosse. Die Predigt soll die Menschen berühren, weil sie etwas mit ihrem Leben zu tun hat. Und ich will unbedingt gesegnet werden. Es ist Sonntag, mein Alltag ist vorbei. Ich will zur Ruhe kommen, abladen, was mich umtreibt. Mein Smartphone ist aus und mein Herz ist an.

Eine (kirchliche) Heimat in der Fremde finden

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Die Eritreische Evangelisch-lutherische Gemeinde in Deutschland
Die Eritreische Evangelisch-lutherische Gemeinde in Neuisenburg

© Dieter Dehler

Solomon Asfaha (links) und Bereket Gaim in einem äthiopischen Restaurant in Frankfurt.

In der Neu Isenburger Marktkirche ist nicht nur eine reformierte, sondern auch eine eritreische Gemeinde zu Hause. Viele Eritreer flohen in den 80ern nach Deutschland und haben sich hier mittlerweile etwas aufgebaut. Ihr großer Traum: irgendwann als Gemeinde zur EKHN gehören.

"Wir haben unsere Heimat verloren, aber nicht unseren Glauben", sagt Bereket Gaim. Der 59-Jährige ist im Kirchenvorstand der Eritreischen Evangelisch-lutherischen Gemeinde Deutschland, einem eingetragenen Verein mit Standorten in Frankfurt, Stuttgart, Ulm und Mannheim. Angefangen hat es, als sich vier bis fünf eritreische Flüchtlingsfamilien ab 1981 in Frankfurt zunächst zu Gottesdiensten von Haus zu Haus trafen. Ob Pfingstler, Lutheraner, Orthodoxe oder Katholiken - angekommen in der Fremde, zählte das zunächst nicht.

Doch je mehr Eritreer kamen, desto mehr differenzierten sich auch die Glaubensgemeinschaften aus. Die Lutheraner fanden Kontakt zur Evangelischen Kirche, sind heute alle Mitglieder der EKHN. Und seit 1989 feiern die Frankfurter ihre Gottesdienste an einem passenden Ort: der Neu-Isenburger Marktkirche, einer reformierten Gemeinde, die einst von den ebenfalls eingewandert Hugenotten gegründet wurde. Jeden Sonntag wird von 11.30 bis 13 Uhr Gottesdienst gefeiert, danach gibt es ein geselliges Miteinander im Gemeindecafé. 70 Mitglieder hat die Gemeinde, im Gottesdienst sind aber meist nur 20 bis 25 Plätze belegt, schildert Gaim. Alle zwei Jahre treffen sich die Lutheraner mit ihren europäischen Vereinsfreunden aus Schweden, England. Norwegen und der Schweiz mit über 300 Teilnehmern.

Gottesdienste mit anschließenden eriteischem Essen.

Allzu afrikanisch darf man sich die Gottesdienste in der Marktkirche allerdings nicht vorstellen. Bis auf das Tigrinja, eine der neun eritreischen Sprachen, sei alles wie in europäischen Gemeinden, betont Gaim. Kürzlich gab es sogar ein gemeinsames Abendmahl mit Dekan Reinhard Zincke. Taufen finden in den deutschen Gemeinden statt. Dennoch ist manches hier ökumenischer, als andernorts. Weil auch die kleine Gemeinde der chinesischen Christen an der Marktkirche untergebracht ist, feiern sie manchmal gemeinsam.

Gemeinsamkeit ist auch das Stichwort im Umgang mit der Politik. Weil Eritreas autokratischer Machthaber Isayas Afewerki polarisiert, ist Politik in der Gemeinde tabu: Oppositionelle und Regierungsanhänger setzen auf Solidarität und ihre christlichen Wurzeln. Die entstanden, als Ende des 19. Jahrhunderts vor allem italienische und schwedische Missionare das Kaiserreich Abessinien durchstreiften, mit seiner bis ins 4. Jahrhundert zurückreichenden koptisch-christlichen Tradition. Heute, berichtet Gaim, sind zwar knapp die Hälfte der Eriteer Christen, aber nur fünf Prozent in der lutherischen Tradition. Dafür gibt es mit den muslimischen Nachbarn keine Konflikte, man lebe freundschaftlich und respektvoll miteinander. Die Gemeinden sind auch räumlich getrennt: im Hochland die Christen, in der Tiefebene die Muslime.

Das Miteinander hält auch für die Eriteer in Deutschland Herausforderungen bereit: "Wie lange werden wir in Deutschland noch als Gast wahrgenommen?", fragt sich Gaim, der seit 1980 in Deutschland lebt. Seit der Flüchtlingswelle habe er sogar den Eindruck, dass die Integration Riesenrückschritte gemacht habe. Seither werde er wieder häufiger als Fremder wahrgenommen. Er sei Deutschland dankbar, habe hier seinen seelischen Frieden und christliche Werte gefunden, "aber wie lange sind wir hier noch Gast, in der wievielten Generation?" Dann erzählt er von einer Eritrea-Reise. Bei der Rückkehr habe seine achtjährige Tochter Rahel den Boden geküsst mit den Worten "Endlich Zuhause!"

Dass gerade die Eritreer Luther verbunden sind, hat für Bereket Gaim auch historische Gründe. So wie einst Luther das Latein der Bibel übersetzt habe, sei auch im christlichen Abessinien die Altschrift Geez modernisiert worden. Zuvor kam immer öfter die Frage auf: "Was sagt der Pfarrer?", erinnert Gaim. Denn seine Landsleute sind tief gläubig. Noch heute haben Tischrunden genau acht Plätze: Die Zahl verweise auf Noah, seine Frau, Diederichs drei Söhne und drei Schwiegertöchter, erklärt Gaim.

Solomon Asfaha
Das Christliche hat auch für den Vorsitzenden des Vereins, Solomon Asfaha (49), eine persönliche Bedeutung. Schon sein Grossvater und Vater waren Priester, er selbst fühlte sich dazu aber nicht berufen. Dennoch hält er Predigten, spielt Orgel und hat in Hannover zwei Jahre evangelische Theologie studiert. Heute arbeitet er als Buchhalter am Flughafen - eine gelungene Integration, für die Asfaha viel Kraft aus seinem Glauben schöpfen musste. In dem für ihn einst fremden Land habe ihn sein Glaube gelehrt, "wie man sich beherrschen und glücklich leben kann." Und vor Gott sind alle Menschen gleich. Die afrikanische Tradition, das ist für ihn vor allem die Gemeinsamkeit beim Essen, dem Besuch der älteren Leute, dem Familientreffen. Asfaha erinnert sich dabei an den Ausspruch "Gott baut mein Haus." Es gebe so schöne Kirchen in Deutschland, "aber wo sind die Menschen?"

Was die Flüchtlinge betrifft, ist Asfaha zuversichtlich, auch wenn er sich daran erinnert, wie wenig Unterstützung er bei seiner Ankunft in den Achtziger Jahren fand. Damals organisierte er selbst Sprachkurse für seine Landsleute, damit diese nicht auf Abwege geraten. Heute machten die Deutschen, auch die Kirchen, sehr viel für die Flüchtlinge, aber mit bloß organisatorischer Hilfe sei es nicht getan. Man solle auch in die Herzen der Neuankömmlinge sehen, daraus etwas erfahren und machen. Denn "das ist nicht mehr die Welt, die wir von Gestern kennen."

Um sie zu gestalten, sind die allesamt Ehrenamtlichen in der Gemeinde weiter aktiv, auch wenn es nur einen kleinen Landeskirchenzuschuss gibt. Den Bibelkreis gibt es schon lange nicht mehr, die Berufstätigen hatten dafür keine Zeit. Aber auch Asfaha Wunsch nach einer Jugendarbeit ist noch offen. Und schließlich hoffen die Eritreer, eines Tages als ganze Gemeinde zur EKHN zu gehören. "Daran arbeiten wir noch", sagt Gaim, gemeinsam mit dem Zentrum für Ökumene.


Aufbruch statt Angst

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Der weltweit renommierte Theologe Jürgen Moltmann gibt Impulse für gesellschaftliche und kirchliche Reformen
Der Tübinger evangelische Theologe Jürgen Moltmann.

© epd-bild/Jens Schulze

Der Tübinger evangelische Theologe Jürgen Moltmann prangert die Fälle von sexuellem Missbrauch in den Kirchen an.

Es braucht Erneuerungen in Kirche und Gesellschaft, ist der Tübinger Theologe Moltmann überzeugt: Der 92-Jährige wünscht sich mehr Beteiligung in den Gemeinden, ein gemeinsames Abendmahl - und eine grüne Reformation.

"Die Hoffnung ist kleinlaut geworden" - attestiert derjenige, der sich mit der Hoffnung auskennt: Der evangelische Theologe Jürgen Moltmann. Er wurde durch seine "Theologie der Hoffnung" weltberühmt. Der 92-jährige emeritierte Tübinger Theologieprofessor kommt, wie er selbst sagt, aus der Aufbruchsstimmung der 1960er Jahre, als man begeistert war vom "dream" des Martin Luther Kings, und Willy Brandt in Deutschland "Mehr Demokratie wagen" wollte.

"Heute ist die Aufbruchsbereitschaft dem Verlangen nach Sicherheit gewichen. Wer nach Sicherheit verlangt, ist unsicher und hat Angst", schreibt er in seinem neuen Buch "Christliche Erneuerungen in schwierigen Zeiten", das am 22. Januar im Münchner Claudius-Verlag erschienen ist. Darin finden sich fünf Vorträge, die rund um das Reformationsjahr entstanden sind und reformerische Impulse für Kirche und Gesellschaft geben wollen.

Neue Streitkultur nötig

Beispielsweise fordert er eine "grüne Reformation in Theologie, Spiritualität und Lebensstil". Alle Menschen sollten die Erde wie ihren Nächsten und sich selbst lieben. Nach einer ökologischen Lesart der Schöpfungsgeschichte in Genesis 1 sei der Mensch das letzte Geschöpf Gottes und darum auch das abhängigste Geschöpf, das für sein Leben auf die Existenz der Tiere und Pflanzen, Luft und Wasser und Tages- und Nachtzeiten sowie das Licht angewiesen ist. Dies sollte den Menschen demütig machen. "Nicht uns ist die Erde anvertraut, wir sind der Erde anvertraut."

Neben einer grünen Reformation brauche es auch eine neue Diskussionskultur. "Wir müssen wieder lernen, Ja oder Nein zu sagen. Ein Streit kann mehr Wahrheit enthalten als ein toleranter Dialog. Wir brauchen eine theologische Streitkultur mit Entschlossenheit und Respekt. Warum? Um der Wahrheit Gottes willen!"

In der Beziehung zwischen evangelischer und katholischer Kirche bleibt für den Theologen das gemeinsame Abendmahl beziehungsweise die Eucharistie besonders wichtig: "Weil die Kirchenspaltung aus Exkommunikation von der eucharistischen Gemeinschaft hervorgegangen ist, ist die Gemeinschaft am Tisch Christi das Ziel der Reformation und aller ökumenischen Bemühungen."

Ob im Straßburger Münster oder auf Konferenzen - er selbst sei in jeder Kirche zur Kommunion gegangen und nie zurückgewiesen worden, sagt Moltmann. Sein praktischer Tipp: Gemeinsames Abendmahl feiern und anschließend diskutieren, was das Problem eines gemeinsamen Mahles ist. "Nach dem Essen und Trinken spricht es sich leichter als vorher mit hungriger und durstiger Seele". In der Ökumenischen Bewegung hätten er und andere die Erfahrung gemacht. "Je näher wir zu Christus kommen, desto näher kommen wir zueinander", sagt der Ökumeniker.

Moltmann beschreibt die Jakobusgemeinde in Tübingen, zu der er gehörte und deren sonntägliche Gottesdienste immer gut besucht sind. Das Geheimnis der vollen Kirche bestehe darin, dass etwa 20 verschiedene Hauskreise regelmäßig den Gottesdienst mitgestalten und ihn vorbereiten. "Aus einer Betreuungskirche wurde eine Beteiligungsgemeinde." Dieser Beteiligungscharakter könnte auch für andere Gemeinden ein gutes Modell sein, findet der Theologe.

Gedanken zu Tod und Auferstehung

Immer wieder schimmert in dem Büchlein Moltmanns "Theologie der Hoffnung" hindurch: "Wer dem 'lebendigen Gott' vertraut, sieht die Welt nicht nur nach ihrer Wirklichkeit. Das tun die Realisten und sie kommen immer zu spät. Wer auf die Zukunft vertraut, sieht die Welt nach ihren Möglichkeiten", schreibt er - und führt als Beispiel den Ersten Weltkrieg an: Für lange Zeit erzählten Historiker die Geschichte dieses Krieges so, als wäre sie von schicksalhafter Notwendigkeit gewesen und als hätte es nicht anders kommen können. Dabei gab es Möglichkeiten zum Frieden, die damals nur keiner ergriff. "Also werden wir Möglichkeitssucher für das Leben und die Gerechtigkeit und vermeiden wir die erkennbaren Möglichkeiten für Tod und Vernichtung."

Der gebürtige Hamburger sitzt bereits an einem nächsten Kurztext, wie er verrät. Er handelt von dem Leben nach dem Tod. Seine These ist, dass die Menschen direkt in ihrer Todesstunde auferweckt werden und nicht erst aus ihrem Grab. "Direkt, wenn man stirbt, ist man bei Gott", so seine Überzeugung. "Nicht die letzten Dinge dieser alten Welt, sondern die ersten Dinge der neuen Welt sind Gegenstand der Hoffnung", schreibt er am Ende seines Buches. Ein Kernsatz, der angesichts des Todes eine ganz eigene Bedeutung erhält.

Wenn die Gemeinde ihren Kirchenkreis wechselt

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Die Heilig-Geist-Kirche in Werder gilt als Wahrzeichen der Stadt und prägt das Altstadtbild.

© Anett Kirchner

Die Heilig-Geist-Kirche in Werder gilt als Wahrzeichen der Stadt und prägt das Altstadtbild.

Neue Schilder, neue Visitenkarte, neues Logo, neue E-Mail-Adressen: die Evangelische Heilig-Geist-Kirchengemeinde in Werder (Havel) hat den Kirchenkreis gewechselt.

Etliche junge Christen aus dem benachbarten Pfarrbereich Alt-Töplitz gehen in der Kleinstadt Werder an der Havel in Brandenburg zur Schule und haben dort ihre Freunde. Nicht selten besuchen sie dann den Konfirmandenunterricht der Evangelischen Heilig-Geist-Kirchengemeinde Werder. Häufig werden deshalb gemeinsame Projekte mit Jugendlichen aus Alt-Töplitz organisiert. Das ist ein Beispiel für eine Situation, die die Gemeinden hier bisher aus kirchenstruktureller Sicht schwierig empfanden, denn sie gehörten jeweils zu anderen Kirchenkreisen. Seit dem 1. Januar 2019 ist das anders. Die Heilig-Geist-Kirchengemeinde wechselte vom Kirchenkreis Potsdam zum Kirchenkreis Mittelmark-Brandenburg (EKMB).

Und damit ist die Kirchengemeinde, die bisher strukturell quasi isoliert war, sozialräumlich an ihre Nachbargemeinden angebunden. Die Gemeindepädagogin und der Kantor sind bereits beim neuen Kirchenkreis angestellt. Das erleichtert, gemeindeübergreifende Kooperationen zu entwickeln, etwa bei Chorprojekten oder in der Jugendarbeit, schildert Pfarrer Georg Thimme. Für ihn sei das eine Bereicherung. Eine gute und schlanke Verwaltungsstruktur bilde das Grundgerüst einer funktionierenden Gemeindearbeit. "Damit kann ich die Kräfte, die ich habe, vernünftig einsetzen", erklärt er.

Zwar hängt draußen am Pfarramt auf der Altstadtinsel von Werder noch das alte Schild, doch im Herzen fühlt sich die Gemeinde schon ihrem neuen Kirchenkreis zugehörig. Bevor es richtig losgeht, gilt es noch pragmatische Dinge zu erledigen; etwa neue Schilder, neue Visitenkarten, neues Logo und neue E-Mail-Adressen. Im Kreiskirchenrat und im Pfarrkonvent wollen sich Georg Thimme und seine Kollegin Pfarrerin Andrea Paetel beizeiten vorstellen. Viele Kollegen, darunter der Superintendent Siegfried-Thomas Wisch, kennen sie bereits. An Himmelfahrt ist ein Open-Air-Festgottesdienst geplant.

Noch hängt das alte Schild am Pfarramt in Werder.

Pure Harmonie also? Dass der Kirchenkreiswechsel heute allen Beteiligten - inklusive dem Kirchenkreis, der verlassen wurde - plausibel erscheint, war ein Prozess. Denn bereits seit 20 Jahren wird darüber diskutiert. Seit der politischen Neuordnung nach der Wende gehört Werder zum Landkreis Potsdam-Mittelmark; kirchenrechtlich blieb die Heilig-Geist-Kirchengemeinde aber beim Kirchenkreis Potsdam.

In den Folgejahren wurden etliche umliegende Dörfer zur Stadt Werder eingemeindet. Die Kirchenkreisgrenze verlief seither durch den Ort. Aufgrund dieser Randlage fühlte sich die Heilig-Geist-Kirchengemeinde dem ländlich geprägten Kirchenkreis Mittelmark-Brandenburg (früher Kirchenkreis Lehnin) zugehörig. "Es gab oft Themen in Potsdam, zum Beispiel die Stadtkirchenarbeit, mit der wir uns hier nicht identifizieren konnten", erläutert Georg Thimme. Auch zuvor habe es bereits Bemühungen gegeben, den Kirchenkreis zu wechseln. Sie scheiterten aus unterschiedlichen Gründen.

Pfarrer Georg Thimme von der Evangelischen Heilig-Geist-Kirchengemeinde.

Im November 2017 beantragte schließlich die Heilig-Geist-Kirchengemeinde bei der Kirchenleitung der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) den Kirchenkreiswechsel. Voraus gingen Gespräche und Diskussionen mit allen Beteiligten über etwa vier Jahre. Die Kirchenleitung hielt den Wechsel für sinnvoll und fasste einen Beschluss, die Kirchenkreisgrenzen entsprechend zu ändern. Darauf folgte ein vorgeschriebenes Prozedere aus Anhörungsverfahren in Sondertagungen der Kreissynoden.

Die Generalsuperintendentin des Sprengels Potsdam Heilgard Asmus unterstützte den Wechsel-Antrag der Heilig-Geist-Kirchengemeinde. In einer Stellungnahme formulierte sie: "Die Begründungen sind nachvollziehbar und sorgfältig von der Gemeinde geprüft und beschrieben worden."

Ebenso befürwortete der EKMB den Wechselwunsch. "Es war ein strukturelles Problem, das die Werderaner trieb, unabhängig von Personen wie Pfarrern, Superintendenten oder Gemeindekirchenräten", begründet es Superintendent Siegfried-Thomas Wisch. Für seinen Kirchenkreis bedeute der Wechsel nicht nur einen Zuwachs von etwa 3.000 Gemeindegliedern, sondern auch einen weiteren Baustein in der laufenden Regionenbildung. Werder sei jetzt die größte Kirchengemeinde im Kirchenkreis und werde Vertreter in die verschiedenen Gremien entsenden. "Das bringt neue Ideen und frischen Wind und das finde ich gut", erklärt Wisch.

Die Kreissynode des Kirchenkreises Potsdam indes lehnte den Wechselwunsch zunächst ab. Sie könne aber der Veränderung zustimmen, wenn zum Beispiel die finanzielle Kompensation des entstehenden Minus im Haushalt geklärt sei. Denn ohne eine Änderung der Finanzverordnung würde laut Beschlussvorlage der Wechsel des Kirchenkreises für den Kirchenkreis Potsdam einen Verlust von rund 363.500 Euro pro Jahr an Kirchensteueranteilen bedeuten.

"Das war uns gar nicht so klar und damit betraf es die komplette Landeskirche", erinnert sich Georg Thimme. Der Grund seien verschiedene Gemeindegliederschlüssel. Die ländlichen Kirchenkreise bekämen pro Gemeindeglied etwas mehr Geld als städtische Kirchenkreise. Daraufhin passte die Kirchenleitung die jeweiligen Gemeindegliederschlüssel in der Finanzverordnung entsprechend an. Laut Prognose für 2019 blieben dennoch Mindereinnahmen von etwa 70.000 Euro beim Kirchenkreis Potsdam. Nachher wurde vereinbart, dass der aufnehmende Kirchenkreis für fünf Jahre je 50.000 Euro zahlt, heißt es in der Beschlussvorlage.

Zusammenarbeit und Kooperation gehen weiter

Am 26. Oktober 2018 beschloss die Landessynode ohne Gegenstimmen bei sechs Stimmenthaltungen die Vorlage. Damit war der Weg für den Kirchenkreiswechsel frei. "Für den Kirchenkreis Potsdam bedeutet dies in erster Linie einen Verlust von Menschen im Gesamtklang unserer Gemeinden und Gremien und das bedauern wir sehr", findet Superintendentin Angelika Zädow. Zugleich wünsche man der Gemeinde einen guten Start im neuen Kirchenkreis. Die erreichte Einigung hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen sei von den zuständigen Gremien im Kirchenkreis Potsdam akzeptiert worden. Die Erfahrung zeige, dass es ab und zu Gründe gebe, Gemeindezugehörigkeiten zu ändern, doch "grundsätzlich denke ich, dass Grenzen - ganz gleich auf welcher Ebene - nicht das Ende von Kooperationen und Zusammenarbeit bedeuten", erklärt die Superintendentin.

Offen über alles reden und einander wertschätzen – das habe letztendlich zum Erfolg geführt, fasst Georg Thimme zusammen. Die Kunst bei diesem Prozess sei es gewesen, die Bedürfnisse und Befürchtungen der unterschiedlichen Parteien ernst zu nehmen und ihnen gerecht zu werden. "Zwar profitieren nicht alle von dem Kirchenkreiswechsel, aber alle können wenigstens sagen: wir tragen das."

Eine Flasche Schnaps als Grabbeigabe

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Foto: Francis Seeck

Ordnungsbehördliche Bestattung mit Urnengräbern

Wie wir trauern, wie wir sterben und beerdigt werden, hängt von der Frage unseres sozialen Status ab. Francis Seeck hat ein spannendes Buch über Ausgrenzung auf dem Friedhof und alternative Trauerpraxen geschrieben. Katharina Payk hat Francis Seeck zu einem Interview getroffen.

Katharina Payk: Die Arbeit an deinem Buch "Recht auf Trauer" entstand aus einer persönlichen Erfahrung heraus. Du erfuhrst vom Tod deines Vaters und seiner bereits vollzogenen Bestattung erst Wochen später. Dein Vater wurde in einer sogenannten ordnungsbehördlichen Bestattung beigesetzt. Du warst nicht informiert worden. Auch seine persönlichen Dinge, deine Erinnerungsstücke, waren entsorgt worden. Wie kam das?

Francis Seeck: Ich erfuhr erst über die Rechnung der Bestattungskosten, die mir das Gesundheitsamt schickte, vom Tod meines Vaters. Er lebte allein in Berlin-Neukölln, und wir hatten seit längerer Zeit keinen Kontakt. Eine ordnungsbehördliche Bestattung betrifft vor allem Menschen, die alleine wohnen, von Armut betroffen sind und keine Bestattungsvorsorge abgeschlossen haben. In Berlin-Neukölln wird nach dem Tod eines Menschen nur noch eine Woche oberflächlich nach Angehörigen gesucht, danach übernimmt die Behörde die Beerdigung, die dann möglichst effizient und kostengünstig abgewickelt wird. Später sucht die Nachlassverwaltung noch nach bestattungspflichtigen Angehörigen, die die Beerdigungskosten im Nachhinein übernehmen. In Berlin werden alle ordnungsbehördlichen Bestattungen von dem Bestattungsunternehmen durchgeführt, das bei der öffentlichen Ausschreibung das billigste Angebot unterbreitet hat. Oft werden sie dann als Sammelbestattungen im Minutentakt durchgeführt. Das Grab ist meistens ein anonymes Grab unter dem grünen Rasen. Ordnungsbehördliche Bestattungen sind in Berlin in der Regel Feuerbestattungen.

Du hast daraufhin entschieden, zu beforschen, welche Folgen Machtverhältnisse auf Bestattungen haben. Du hast dich dabei auf Klassismus konzentriert, aber auch queere Fragestellungen aufgeworfen. Was hast du hier beobachtet und herausgefunden?

Klassismus – also die Diskriminierung aufgrund der sozialen und ökonomischen Position in der Gesellschaft – hört auch nach dem Tod nicht auf. Außerdem sind immer mehr Menschen von Altersarmut betroffen. Menschen die alleine Leben oder in nicht-traditionellen Beziehungsformen sind häufiger von ordnungsbehördlichen Bestattungen betroffen, wo sie oft nicht einmal mehr namentlich genannt werden und keine Zeit für einen individuellen Abschied vorgesehen ist.

Namentliche Erinnerung kann eine widerständige Praxis gegen Anonymität und "Unbetrauerbarkeit" sein, schreibst du. Wer gilt als unbetrauerbar und was gibt es für Praxen oder Aktionen dagegen?

Die Philosophin Judith Butler betonte, dass "Unbetrauerbaren" kein Wert zugemessen wird, sie dadurch keinen Anspruch auf Unterstützung und Hilfe haben und sich auch nicht an sie erinnert wird. Ein historisches Beispiel ist der Umgang mit dem Sterben von v. a. schwulen Männern während der AIDS-Krise. Da die staatlichen Versorgungsstrukturen von Homophobie geprägt waren und schwulen Männern oft die Schuld für die Krankheit gegeben wurde, mussten schwule und queere Communitys eigene Versorgungs-, Trauer- und Bestattungskulturen aufbauen.

Aktuell sterben unglaublich viele Menschen auf der Flucht an den europäischen Außengrenzen. Im öffentlichen Diskurs sind sie häufig namen- und identitätslos und werden nicht betrauert. Auch arme Menschen, die ordnungsbehördlich bestattet werden, werden gemeinhin als nicht-betrauerbar gesehen. Ich führte für mein Buch Interviews mit Mitarbeiter_innen aus den Gesundheitsämtern, Angehörigen von ordnungsbehördlich Bestatteten, Bestatter_innen und Aktivist_innen. Menschen, die arm ohne Bestattungsvorsorge sterben, werden oft als Kostenfälle behandelt, die im Leben nichts geleistet hätten. Die anonymen Gräber und Bestattungen ohne Zeit für Trauerreden werden damit begründet, dass es ja keine Angehörigen gäbe, die trauern würden. Dass Menschen oft andere Netzwerke und Bezugsgruppen haben, die um sie trauern, wird ausgeblendet. Besonders häufig betroffen sind wohnungslose Menschen. Ihre Bestattung wird oft von den Behörden noch schneller abgewickelt.

Es gibt einige Initiativen, die sich gegen diese unwürdigen Bestattungspraktiken einsetzen und ein Recht auf eine würdige Bestattung für alle Menschen fordern – unabhängig vom ökonomischen Status. In Berlin-Kreuzberg gibt es beispielsweise das Grab mit vielen Namen, welches sich anonymen Beerdigungen von wohnungslosen Menschen entgegenstellt.

Ist die eigene Beerdigung zu organisieren Teil der Fortschreibung der neoliberalistischen, leistungsorientierten Werte in unserer individualisierten Gesellschaft oder ist es Teil eines selbstbestimmten Sterbens?

Das eigene Sterben wird zunehmend zu einem Projekt. 2004 wurde das Sterbegeld der Krankenkassen abgeschafft, welches die Kosten einer einfachen Beerdigung deckte. Seitdem findet eine zunehmende Ökonomisierung statt. Der Tod wird immer mehr als individuelles Projekt verstanden, um das sich jede einzelne Person selbst zu kümmern hat. Für Menschen, die es sich leisten können, gibt es unzählige Möglichkeiten individueller Bestattungen: Seebestattungen, Diamantbestattungen und Co. Bei armen Menschen sind die Möglichkeiten begrenzt. Oft wird Menschen, die ordnungsbehördlich bestattet werden auch die Schuld gegeben "sie hätten sich zu Lebzeiten nicht genug gekümmert". Hier wird die neoliberale Idee, dass alle für ihren gesellschaftlichen Erfolg selbst verantwortlich sind nach dem Tod fortgeführt.

Gleichzeitig ist die Trauer- und Bestattungskultur oft von Normen und Regulationen geprägt, und es ist wichtig, diese in Bewegung zu bringen. Ich finde es gut, wenn es vielfältige Bestattungs- und Trauerformen gibt. Diese sollten aber nicht nur  wohlhabenden Menschen zur Verfügung stehen.

Du warst damals in einer queer-feministischen Trauergruppe. Inwiefern war es für dich wichtig, dass dort queere Menschen waren? Welche Rolle spielen alternative Trauergemeinschaften und wo findet man sie?

Die Zeit in der queeren Trauergruppe war enorm hilfreich für mich. Es war wichtig, mich mit anderen Personen, deren Trauererfahrungen nicht der Norm entsprachen, auszutauschen. Einer lesbischen Person wurde von der Familie ihrer Exfreundin nach deren Tod verweigert, sich zu verabschieden. Sie wurde aufgrund von Homofeindlichkeit aus dem Trauerprozess ausgeschlossen. Sie musste sich andere Trauerräume aufbauen.  Bei anderen war, wie bei mir, der Tod und die "Unbetrauerbarkeit" der Eltern stark mit Klassismus verbunden. Denn wenn deine Eltern gesellschaftlich nicht erfolgreich waren, sondern erwerbslos, und früh sterben, ist die Anerkennung für ihr Leben oft gering. Als mein Vater starb, war ich Anfang 20, es war auch wichtig, mich mit anderen Leuten zu vernetzen, die auch sehr früh (Halb-)Waisen wurden, da viele Freund_innen noch keinen Todesfall erlebt haben.

Ich habe die Trauergruppe selbst aufgebaut, da es keine entsprechenden Angebote gab. Heute sieht das allerdings zumindest in Berlin schon anders aus, und es gibt einige Angebote vor allem für queere Trauernde.

Welche Rolle spielen Gender und sexuelle Orientierung bei dem Thema?

Die Trauer- und Bestattungskultur ist oft von Heteronormativität geprägt. Aus einer queeren Perspektive ist es wichtig, Bestattungs- und Trauernormen zu durchbrechen. Es gibt beispielsweise die Norm des Doppelgrabs – der Mann liegt rechts und die Frau links. Wenn sich ein lesbisches Paar ein Doppelgrab wünscht, sind einige Friedhofsverwalter_innen schon überfordert. Bei trans Menschen ist es enorm wichtig, dass sie auch nach dem Tod richtig angesprochen werden und in ihrem Geschlecht bestattet werden, unabhängig von dem, was in ihrem Ausweis steht oder wie ihr Körper gelesen wird.

Aktivist_innen haben bereits einige queere Bestattungsangebote aufgebaut. Auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg sind viele queere Menschen bestattet. Dort befindet sich auch das Gemeinschaftsgrab vom Verein "Denk mal positHIV" für Menschen mit HIV/AIDS, die etwa aufgrund ihrer Erkrankung und oft auch wegen ihrer sexuellen Orientierung in ihrem Leben Ausgrenzung erfahren haben – bis über die Grenzen ihres Todes hinaus. Ähnliches gilt für lesbisches Leben und Sterben, das oft unsichtbar ist.  Eine lesbische Initiative hat daher 2014 auf dem Georgen-Parochial-Friedhof I am Prenzlauer Berg ein eigenes Friedhofsfeld nur für Lesben eingerichtet. Hier findet die Gemeinschaft von Lesben über den Tod hinaus Raum.

Oft haben bestattungspflichtige Verwandte andere Vorstellungen von der Bestattung als die eigentlichen Bezugspersonen, etwa aus der LGBTI-Community. In Berlin gibt es beispielsweise den queeren Bestatter Julian Heigel ("Thanatos Bestattungen"), der sich für selbstbestimmte Bestattungen einsetzt. Er nimmt in Konfliktfällen auch die Rolle eines Vermittlers ein.

Eine große Rolle spielt nach wie vor die Kirche bei Bestattungen. Welche Erfahrungen hast du in Bezug auf deine Forschungen und deinen Aktivismus mit Kirche gemacht? Was wünschst du dir von Kirche diesbezüglich?

Ich habe für mein Buch ein Interview mit Pfarrer Peter Stork vom Projekt "Grab mit vielen Namen" geführt und war auch bei einigen Beerdigungen der Initiative dabei. Die Kirchengemeinde Heilig Kreuz hat im Jahr 2001 eine würdige Grabstelle mit Namens- und Erinnerungsstein in Berlin eingerichtet. Hier werden v. a.  wohnungslose Männer bestattet, wenn sie das möchten. Diese Initiative finanziert sich über Spenden. Sie melden sich immer wieder gegen die menschenunwürdige Praxis zu Wort. Mir gefällt auch, dass das Projekt sich für die unterschiedlichen Trauerpraxen der Trauergemeinschaft öffnet. So wurde bei den Beerdigungen auch öfter Mal eine Flasche Schnaps als Beigabe ins Grab geworfen, Punkmusik gespielt und der Pfarrer ließ sich auch unterbrechen, wenn jemand der Gäste eine andere Trauerrede halten wollte. Ein wenig schade finde ich jedoch, dass auf dem Grabstein des Projekt der Name des verstorbenen Pfarrers, der sich auch dort hat bestatten lassen dann doch um einiges größer gedruckt ist, als die der verstorbenen wohnungslosen Menschen.

Ich bin selbst Agnostiker_in, arbeite aber beim Thema ordnungsbehördliche Bestattungen immer wieder mit Kirchen zusammen. Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Kirchen Initiativen wie das "Grab mit vielen Namen" aufbauen und sich auch in der Öffentlichkeit gegen ordnungsbehördliche Bestattungen zu Wort melden. Gleichzeitig ist es auch notwendig, die Trauer- und Bestattungskonventionen noch weiter zu öffnen, um mehr alternative Bestattungsformen zu ermöglichen.

***

Francis Seeck ist Autor_in, Antidiskriminierungstrainer_in, Lehrbeauftragte_r und schreibt eine Dissertation zum Thema trans und queere Care-Praxen. Francis' Buch "Recht auf Trauer. Bestattungen aus machtkritischer Perspektive" ist 2017 bei edition assemblage erschienen. https://www.francisseeck.net/, https://www.edition-assemblage.de/buecher/recht-auf-trauer/

 

Weiterführende Links:

http://endlich.cc/armut-und-sterben-ungleich-vor-dem-tod/

https://www.heiligkreuzpassion.de/soziales/ueberwindung-von-armut/grab-mit-vielen-namen

https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/nicht-nur-ein-steinernes-archiv-der-garten-der-frauen-ev-hamburg

https://www.thanatos-berlin.de/queere-bestattung/

https://magazin.hiv/2015/10/13/ein-ort-der-trauer-und-des-gedenkens/

http://www.fr.de/kultur/judith-butlers-dankesrede-kann-man-ein-gutes-leben-im-schlechten-fuehren-a-805966

Botschafter eines gerechten Friedens von morgen

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Gedenkstätte Lager Sandbostel

© Ulf Buschmann

Diakon Michael Freitag-Parey arbeitet in der Gedenkstätte Lager Sandbostel mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Diakon Michael Freitag-Party arbeitet in der Gedenkstätte Lager Elbsandstein im niedersächsischen Rotenburg/Wümme. Während des Zweiten Weltkriegs internierten die Nazis hier Zwangsarbeiter. Gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen erinnert Freitag-Parey an ihre Geschichten.

Heute ist das Zwangsarbeiter-Lager eine Gedenkstätte. Sie befindet sich vor der Haustür vieler junger Menschen. Michael Freitag-Parey ist Diakon und bringt ihnen die Geschichte des Lagers Sandbostel im Landkreis Rotenburg/Wümme nahe. Freitag-Parey und seine Kollegen haben eine in ihrer Art einmalige Form gefunden, die Geschichte des Ortes altersgerecht zu erzählen. Der Name ihres Programms ist: "Wir müssen reden".

Für jede Altersgruppe sieht die Arbeit für Freitag-Parey also etwas anders aus. An diesem Wochentag hat er eine Grundschulklasse aus der Region zu Gast. Auf dem weitläufigen Gelände sehen die Kinder erst einmal eine Ansammlung von Baracken. Einige verfallen, in andere können sie hinein gehen. Wieder andere dienen als Veranstaltungsraum. "Ich zeige ihnen die Lagerbaracke, die Lagerkirche und den Latrinenraum", sagt Freitag-Parey.

Dabei erklärt er den Viertklässlern, wie es auf dem Gelände einst zugegangen ist. Wo sich die Kinder jetzt frei bewegen können, waren im Zweiten Weltkrieg Kriegsgefangene eingesperrt. Die Nationalsozialisten internierten Soldaten aus Frankreich, Großbritannien, Belgien und den USA. Auch Russen und Polen waren unter den Gefangenen. Die Menschen mussten hart in der Rüstungsindustrie und der Landwirtschaft arbeiten. Doch während die Franzosen, Briten, Belgier und Amerikaner recht gut behandelt wurden, erging es den Polen und Russen schlecht. Sie hatten nicht genug zu essen, konnten sich nicht richtig waschen und es gab kaum medizinische Versorgung für sie. Viele von ihnen starben wegen der schlechten Behandlung.

Der Eingangsbereich des Lagers Sandbostel im Oktober 1942.

Die Kinder erfahren etwas von der Ideologie der Nazis. Dabei sollen sie sich ihr eigenes Bild machen. Denn: In die Ausstellung geht es mit den Grundschülern nicht, um sie vor den für sie durchaus verstörenden Bildern zu bewahren. Dies ist eine Absprache mit den Schulen und Eltern.

Den Lagerrundgang gibt es für alle Altersgruppen. Er sei wichtig, um sich auf diesen zuerst "komischen Ort" einzulassen. Dann beginnt die eigentliche Arbeit des Diakons, das Credo: "Wir lassen den Ort sprechen." Und: "Wir arbeiten biografisch." So schauen sich Jugendliche auch die Ausstellung an und befassen sich mit dem Leben einzelner Gefangener: Wo kamen sie her? Wie lebten sie? Was mussten sie tun? Am Ende hätten sie ein gutes Bild vor Augen und könnten einen "Namensziegel" herstellen. Der Ziegel wird an einer großen Stele auf dem Friedhof Sandbostel angebracht. Durch dieses Projekt würden die Toten Stück für Stück aus ihrer Anonymität geholt.

Die Schüler der gymnasialen Oberstufen blicken gar ein Stück in die Zukunft. Sie stellen nicht nur die Ziegel her, sondern entwerfen Objekte zur Visualisierung des ehemaligen KZ-Durchgangslagers, das es ebenfalls in Sandbostel gab. Zudem im Angebot ist ein Anti-Rassismus-Programm mit mehreren Workshops.

Entwurf eines Schülers zur Visualisierung des ehemaligen KZ-Auffanglagers hinter der Kirche.

Durch die Nähe der Gedenkstätte und das Programm "Lass uns reden" bekämen die jungen Menschen früh mit, wie grausam es vor ihrer Haustür zugegangen sei, sagt Freitag-Parey. Das bringe ihnen auch etwas für die Gegenwart, denn die Kinder erführen ja auch, wie die Erwachsenen über Politik diskutieren und was im Internet vor sich geht. Auch auf der Straße schnappten sie "Halbwissen" auf.

Um die Kinder und Jugendlichen mit ihrem Halbwissen nicht alleine zu lassen, fügten sein Kollegen und er mit ihrem Programm weitere "Puzzleteile zusammen, die sie im Kopf haben, und machen sie sensibel dafür, dass Geschichte wichtig ist, um Zusammenhänge besser verstehen und einordnen zu können", sagt Freitag-Parey.

Arbeit mit Konfirmanden

Erst ab der neunten oder zehnten Klasse hätten die Jugendlichen häufig erst die Möglichkeit, das alles einzuordnen und zu bewerten - wenn es dann nicht schon zu spät sei. Die Meinung über den Nationalsozialismus, Krieg und Gewalt könnten sich zu diesem Zeitpunkt längst verfestigt haben. Mithin käme der Nationalsozialismus in der Schule viel zu spät dran.

Kinder und Jugendliche ab der 4. Klasse befassen sich ganz praktisch mit der Geschichte von Krieg und Nationalsozialismus.

Diese Lücke versuchen Freitag-Parey und die anderen Mitarbeiter zu schließen. Der Diakon arbeitet seit 2014 in der Gedenkstätte Sandbostel. Seine Stelle wird von 2019 bis 2021 vom Kirchenkreis Bremervörde-Zeven und dem Fond "Friedenwege" der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers finanziert.

Die Konfirmanden, die ins Lager kommen, sollen sich über Fotos zwei unterschiedliche Sichtweisen erarbeiten: die der Wachmannschaften und die der Gefangenen. Was die Gefangenen festhielten, zeigt das Elend. Für die Wachmannschaften hingegen war Sandbostel ihr Arbeitsort. Michael Freitag-Parey sagt: "Aus ihren Bildern wurden Postkarten, die die Leute nach Hause schickten."

Diakon Michael Freitag-Parey brennt mit Schülern Namensziegel für den Friedhof, auf dem ehemalige Lagerinsassen in Massengräbern liegen.

Wenn Diakon Freitag-Parey mit den Konfirmanden oder auch seinen Schülern arbeitet, stellt er fest: Sie verlieren Stück für Stück ihre Scheu und Unsicherheit. Dann schlägt er den Bogen in die Gegenwart. Seine Fragestellungen: Was ist Gerechtigkeit, was ist ein gerechter Friede? Wo kann jeder Einzelne für einen gerechten Frieden einstehen? Was ist die Aufgabe des Einzelnen? Wie drückt sich Ungerechtigkeit im Alltag aus - in der Schule, im Verein, in der Familie?

Die Arbeit mit den Konfirmanden ist für Freitag-Parey das, was er selbst "Ausbildung von Multiplikatoren eines gerechten Friedens und für ein gerechtes Miteinander" nennt. Doch nicht nur das, es geht auch darum, den Jugendlichen "Rüstzeug" für die Schule und darüber hinaus mitzugeben.

Bewerbungsfrist bei "Stiftung Orgelklang" beginnt

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Die berühmte Barock-Orgel von ArpSchnitger

© epd-bild / Stephan Wallocha

Die zweijährige Sanierung der Arp-Schnitger-Orgel in Hamburg-Neuenfelde in der St. Pankratius-Kirche wurde 2017 beendet.

Kirchengemeinden, die einen Zuschuss zur Sanierung ihrer Orgel haben möchten, können sich bei der "Stiftung Orgelklang" bewerben.

Hannover (epd). Evangelische Gemeinden, die ihre Orgeln instand setzen wollen, können ab dem 24. Januar einen Antrag auf Förderung durch die "Stiftung Orgelklang" stellen. Die Bewerbungsfrist endet am 30. Juni, wie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die die Stiftung gegründet hat, am Donnerstag in Hannover mitteilte. Die Fördergelder können den Angaben nach für zwei Jahre, also für 2020 und 2021 beantragt werden.

Im vergangenen Jahr habe die Stiftung die Sanierung von 14 Orgeln unterstützt und mehr als 64.000 Euro zur Verfügung gestellt, hieß es. Gefördert werden den Leitlinien zufolge "Maßnahmen zur sachgerechten technischen und klanglichen Wiederherstellung von historischen Orgeln einschließlich ihrer Gehäuse". Den Neubau von Orgeln oder neue künstlerische Gestaltungen unterstützt die Stiftung nicht. Anträge können online unter www.stiftung-orgelklang.de/antragsverfahren/ gestellt werden.

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