Geistliche in den Konzentrationslagern der Nazis
Christliches Leben im KZ Auschwitz-Birkenau
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Manchen gab er im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau Trost: Der Glaube an Gott im Himmel.
Schon unter den ersten Häftlingen des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau befanden sich römisch-katholische Geistliche. Denn die Nationalsozialisten sahen in ihnen eine Gefahr für die eigene Herrschaft. Zusammen mit Lehrern, Ärzten und Journalisten waren Geistliche für die Nationalsozialisten Menschen, die Ansehen und Autorität in der polnischen Bevölkerung genossen und in der Lage waren, Widerstand gegen die Besatzer zu organisieren. Bereits im September 1939 hatte man in den gemischtsprachigen Gebieten versucht, alle polnischen Priester durch "angemessene Deutsche" zu ersetzen, damit sie "die Bevölkerung nicht weiter verhetzen dürfen", wie es in einem Schreiben vom 22. September 1939 an den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten, Hanns Kerrl, heißt.
Nach der Besatzung Polens waren die Geistlichen für viele Gemeindemitglieder moralische und geistliche Stützen. "Der Priester besuchte die verängstigten und terrorisierten Gemeindemitglieder, er tröstete sie und richtete sie moralisch wieder auf. Er war überzeugt davon, dass er ein Beispiel an Mut und Tapferkeit für die Menschen sein sollte.", so erinnert sich ein Gemeindemitglied an die Taten von Marcin Tomanka, einem Priester aus Haczów, einer Stadt im südöstlichen Polen. Er habe sich nicht von den deutschen Soldaten einschüchtern lassen und sie einmal sogar, als sie rauchend und mit Mütze auf in der Tür seiner Kirche standen, rausgeschmissen. Kurz darauf wurde Marcin Tomanka verhaftet und ins KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Am 8. Juli 1942 starb er in Dachau.
Geistliche erwartete dort eine noch grausamere Behandlung als sie vielen anderen zu Teil wurde. "Das hier ist kein Sanatorium, das hier ist ein deutsches Konzentrationslager!", brüllte SS-Hauptsturmführer Karl Fritsch die Neuankömmlinge zur Begrüßung an. "Die einzige Möglichkeit, dem Konzentrationslager zu entkommen, ist die durch den Schornstein! Wem das nicht passt, der kann sofort zum elektrischen Stacheldraht gehen." Der Häftling Tadeusz Jagodziński erinnert sich an die Überlebenschance, die ihnen Fritsch in Aussicht gestellt hat: "Hier überlebt ein Jude zwei Wochen, ein Pfaffe überlebt hier einen Monat und ein gewöhnlicher Häftling darf hier drei Monate leben!"
Und die SS-Leute ließen Worten Taten folgen: Die Strafkompanie – in der die härteste Arbeit verrichtet werden musste, die Sterblichkeitsrate am höchsten und die Aufseher am brutalsten waren – bestand größtenteils aus Juden und katholischen Priestern. Zu den Aufgaben der Strafkompanie gehörte das Planieren der Straßen und des Appellplatzes mit einer schweren Walze, die immer von zwei Häftlingen gezogen wurde. "Wir mussten den ganzen Tag mit der Walze rennen und hatten nur eine 30-minütige Mittagspause", erinnert sich Erwin Olszówka. "Tag ein, Tag aus war es das Gleiche. Von morgens bis abends habe ich die Walze im Laufschritt gezogen – ob es regnete oder heiß war." Es habe keine Momente zum Luftholen, keine Verschnaufpausen gegeben – immer habe es nur "los, los, schneller" geheißen und Stockschläge gegeben. Wer stolperte oder entkräftet zusammenbrach, wurde von der Walze überrollt.
Gelang Häftlingen die Flucht aus dem Strafkommando, mussten andere bitter dafür bezahlen. So wie im Juni 1942, als nach einem erfolgreichen Ausbruch von den restlichen Häftlingen des Kommandos 300 ausgewählt und zur Strafe vergast wurden. Die Restlichen wurden von der SS und den Funktionshäftlingen gefoltert. Ein Priester wurde in einem Fass mit Fäkalien ertränkt.
Die Verhandlungen des Vatikans mit dem "Dritten Reich"über die Freilassung des polnischen Klerus scheiterten. Das einzige Zugeständnis, das man Hitler-Deutschland im Herbst 1940 abringen konnte, war die Zusammenlegung der Geistlichen im Konzentrationslager Dachau und eine leichte Verbesserung der Bedingungen für die Menschen, die dort dann im sogenannten Pfarrerblock interniert waren: Befreiung von der körperlich härtesten Arbeit und die Möglichkeit, die Messe zu feiern, gehörten dazu.
Im KZ Auschwitz-Birkenau waren alle Formen religiösen Lebens oder auch der Besitz religiöser Gegenstände streng verboten. Und trotzdem fanden die Häftlinge dort Möglichkeiten, ihren Glauben zu leben. Zivilisten schmuggelten Hostien und andere Gegenstände in das Lager und im Geheimen wurden Gottesdienste gefeiert. Wegen der großen Gefahr wurden nur die vertrauenswürdigsten Menschen eingeweiht. Der Häftling Józef Majchrzak ist überzeugt von der Wirkung dieser Gottesdienste: "Es geschah, dass selbst die Zweifelnden ihren Glauben im Lager wiedererlangten. Ich glaube, dass ich auch durch den Glauben und das Gebet vorm drohenden Tod während eines Typhus-Ausbruchs gerettet wurde."
Öffentlich zelebriert wurde wohl nur das Weihnachtsfest. In einigen Baracken erlaubten die Funktionshäftlinge abends das Singen von Weihnachtsliedern oder sogar das Aufstellen eines Weihnachtsbaumes. Damit die Gefangenen jedoch nicht auf die Idee kamen, dass die SS-Leute milde gestimmt seien, ließen sie in unmittelbarer Nähe des großen Weihnachtsbaumes, der hell erleuchtet auf dem Appellplatz stand, die Leichen der Verstorbenen aufstapeln. So hatten sie alle Häftlinge beim Zählappell vor Augen, als sie gemeinsam mit ihren Unterdrückern "Stille Nacht, Heilige Nacht" singen mussten.
Im Frauenlager in Birkenau brachte die Weihnachtszeit die Häftlinge über die Grenzen aller Religionen, Konfessionen und politischen Weltanschauungen zusammen, wie sich Anna Palarczyk erinnert. In ihrer Baracke lebten christliche, jüdische und kommunistisch eingestellte Polen und Ukrainer zusammen. Die Christen schmuggelten einen Weihnachtsbaum in die Baracke und man wollte mit allen zusammen essen, um das christliche Fest zu begehen. "Die Juden schüttelten mit den Köpfen, deswegen erklärte ich ihnen, dass es nicht darum ging, ein christliches Fest zu feiern, sondern ein Fest der Versöhnung, der Hoffnung und des Friedens", so Palarczyk. Auch die Ukrainer argumentierten, dass ihr Weihnachtsfest erst später stattfinde und sie deswegen nicht an dem Essen teilnehmen könnten. Doch Palarczyk blieb hartnäckig in ihrer Botschaft. "Und so habe ich wieder gesagt: "Hört mit gut zu, es geht nicht um ein christliches Fest, es geht um einen Abend für uns, den wir zusammen verbringen in der Hoffnung, dass wir vielleicht irgendwann dieses Lager verlassen werden." Am Ende seien alle gekommen – auch die Kommunisten.
Heimlich nahmen Priester auch Beichten ab. Und die haben nicht nur die Beichtenden, sondern auch die Beichtväter oft tief berührt. "Diese heimlichen Beichten hinterlassen einen unauslöschlichen Eindruck", erinnert sich der Jesuitenpater Adam Kozłowiecki, "Wie nur wir beide dort entlanglaufen… als sei es nur ein Gespräch und doch öffnen sich die Herzen für den Empfang der göttlichen Gnade. Und das oft nach Jahren der Gleichgültigkeit. Ego te absolvo... Hier, im Lager Auschwitz." Die Absolution in einem Konzentrations- und Vernichtungslager wie Auschwitz-Birkenau zu erteilen, schien für den Jesuiten ein denkwürdiger Augenblick zu sein.
Häftlinge im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau durften offiziell nur zwei persönliche Gegenstände besitzen: ein Taschentuch und einen Gürtel. Doch obwohl der Besitz von religiösen Gegenständen verboten war, hielt es einige Häftlinge nicht davon ab, sich Symbole ihres Glaubens zu fertigen. Ein Priester bastelte zum Beispiel aus Löffelstielen kleine Kreuze, die er mit christlichen Symbolen, Daten und Namen versah. Einige verschenkte er zur Erbauung an andere Mitgefangene. Auch andere im Lager hergestellte religiöse Gegenstände wurden als Symbole der Hoffnung weitergegeben. So wie ein kleines Medaillon, in dem der leidende Christus dargestellt ist. Zofia Posmysz erhielt es von Tadeusz Paolone-Lisowski, einem Mithäftling, mit dem sie über den Glauben gesprochen hatte. Sie selbst, die sich als an Gott glaubend bekannte, und er, der Zweifelnde, der sich wie so viele fragte, wie Auschwitz dann existieren kann. Er gab ihr das Medaillon mit den Worten: "Nimm es als eine Erinnerung an mich. Es soll dich beschützen. Pass gut auf es auf und, wenn Gott will, trag es bis zur Freiheit." Eine andere Gefangene bastelte aus ihren kargen Brotrationen einen Rosenkranz, der auch nach ihrem Tod im April 1943 von ihren Mitgefangenen aufgehoben wurde. An einem Ort, an dem Menschen vor Hunger starben und wegen Brot töteten, überdauerte ein Rosenkranz aus Brot die Zeit.
Heutzutage wird er oft als einer der vielleicht schönsten Tage des Lebens stilisiert: der Hochzeitstag. Auch im KZ Auschwitz-Birkenau und seinen Nebenlagern hat es Paare gegeben, die sich dort Liebe und Treue geschworen haben – bis dass der (im Konzentrationslager allgegenwärtige) Tod sie scheidet. So manches Brautpaar hat sich dort sogar erst kennen und lieben gelernt. So wie Irena (Irka) Bereziuk und Mieczysław (Mietek) Pronobis. Eine Mitgefangene, Anna Kowalczykowa, erinnert sich an die heimliche Trauung der beiden: "Irka stand auf der einen Seite des Stacheldrahts und auf der anderen Seite stand Mietek mit einem anderen Häftling, einem Priester. Irka und Mietek hielten sich durch den Stacheldraht hindurch an den Händen und der Priester segnete sie." Ein langes, gemeinsames Leben war dem glücklichen Paar jedoch nicht vergönnt: Zwar überlebten beide das Ende des Krieges, doch starb Mieczysław Pronobis wenige Jahre später an den Folgen einer Tuberkulose-Erkrankung, die er sich im KZ zugezogen hatte.
Nicht weniger erinnerungswürdig als die Eheschließungen sind die Taufen, die im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau stattfanden. Während in der ersten Zeit Schwangere sofort ermordet wurden, stieg ab Mitte 1943 der Bedarf an Arbeitskräften, weshalb Schwangere am Leben gelassen wurden. Im gleichen Jahr hörte man auch damit auf, die Neugeborenen nicht-jüdischer Frauen sofort zu ermorden. Babys jüdischer Abstammung wurden noch bis Ende Oktober 1944 umgebracht. Da die Säuglinge allgemein keine besonders hohe Überlebenschance hatten, wurden die meisten von ihnen mit Zustimmung der Mutter sofort nach der Geburt notgetauft. Maria Slisz-Oyrzyńska arbeitete im Häftlingskrankenhaus in Birkenau und wurde Zeugin solcher Nottaufen. An einigen war sie sogar direkt beteiligt, "In der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 1943 wurde das erste Kind in unserem Block 17 geboren. (…) Nachdem der Junge auf der Welt war, sagte mir die Hebamme Stanisława Leszczyńska aus Łódź: 'Und jetzt werden wir ihn taufen.' Ich wurde seine Patin, er mein erstes Patenkind. Ich ließ ihn auf den Namen Adam taufen. Indem sie die offiziellen Worte sprach, taufte Stanisława den kleinen Adam." Wie wichtig es für die Hebamme gewesen sein musste, dass die Säuglinge getauft wurden, zeigt auch ein anderes Beispiel: Als die Front näher rückte, organisierte Leszczyńska eine Massentaufe für die bis dahin ungetauften Säuglinge. Ein orthodoxer Häftling, der zufällig gerade vorbei kam, stand Pate für all diese Kinder, die nicht Gefahr laufen sollten, ohne Gottes Segen zu sterben. Auch die Gefangenschaft in Auschwitz hatte ihr diesen Glauben nicht austreiben können.
Wurden anfangs vor allem katholische Geistliche verhaftet, so betraf es später auch Protestanten und Orthodoxe. Unter ihnen waren Priester, Mönche, Nonnen und Seminaristen. Zwischen 1940 und 1945 wurden mindesten 464 männliche und 35 weibliche Geistliche aus den von den Deutschen besetzten Gebieten ins KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Die meisten starben dort oder in den Lagern, in die sie überstellt wurden.
Die Informationen und Erinnerungen der Häftlinge in diesem Artikel wurde vom Memorial and Museum Auschwitz-Birkenau in der Lektion "Christian Clergy and Religious Life in Auschwitz" zusammengetragen.
Auslandspfarrer: Kirchen sollen wegen Brexit noch enger kooperieren
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Das Land sei tief gespalten zwischen Befürwortern und Gegnern eines Brexits, so empfinget es der Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Auslandsgemeinden in London-Ost, Bernd Rapp.
Die Reaktionen auf den geplanten Austritt der Briten aus der EU seien bei seinen Gemeindemitgliedern sehr unterschiedlich, sagte Rapp, der zuvor Gemeindepfarrer an der Johanneskirche in Pirmasens war. Manche zeigten sich uninteressiert, weil sie mittlerweile die britische Staatsbürgerschaft hätten. Andere säßen auf gepackten Koffern. Seine Gemeinde unterstütze Gemeindemitglieder dabei, einen "Settled Status" zu erhalten - eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung nach fünfjährigem Aufenthalt für den Fall, dass Großbritannien die EU ohne Einigung verlässt.
Groß sei die Unsicherheit der Menschen in Großbritannien. Keiner wisse, wohin es ab Ende März mit dem Land gehen werde, sagte Rapp, der im schottischen Edinburgh studierte und in Cambridge sein Kontaktstudium machte. Das Land sei tief gespalten zwischen Befürwortern und Gegnern eines Brexits. Er selbst bedauere die Brexit-Entscheidung der britischen Regierung sehr, sagte Rapp. Die Menschen seien von den Politikern schlicht belogen und über die möglichen Folgen eines EU-Austritts im Unklaren gelassen worden. Das politische Projekt zeige, "was passiert, wenn man Populisten das Feld überlässt".
Die kirchlichen Partnerschaften, etwa zwischen der pfälzischen Landeskirche und der United Reformed Church (URC), würden durch einen Brexit sogar gestärkt werden, glaubt Rapp. Die Christen in Deutschland und Großbritannien würden dann deutlicher erkennen, wie wichtig es sei, gemeinsam über nationale Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten.
Rapp hat einen berühmten Vorgänger: Der Theologe und NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer war von 1933 bis 1935 Pfarrer in Sydenham/Forest Hill, das zu Rapps Pfarramt gehört.
Beten im Netz: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind"
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Regiepult eines digitalen Gottesdienstes.
Die Empörung in der Netzgemeinde ist immer noch groß, seit der Berliner Altbischof Wolfgang Huber vor der Twitter-Falle warnte: Seiner Meinung nach verhindert Twitter Begegnung zwischen Menschen. Kirche aber solle ein Ort sein, an dem sich Menschen begegnen. Der Widerspruch von Twitter-Nutzern, die sich für die digitale Kirche interessieren, ist groß.
"So viele tolle Menschen habe ich gerade durch Twitter kennengelernt - und später auch persönlich getroffen", erwidert etwa eine Theologin und Bloggerin unter dem Tweet des ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland. Tweet und Reaktionen werfen Fragen auf: Welche Formen christlicher Gemeinschaft gibt es im Netz? Sind sie - im theologischen Sinne - eigenständige Gemeinden?
Auf die Frage, ob es eine digitale Gemeinde gibt, hat die junge Theologin Hanna Jacobs (30) eine klare Antwort: "Ja." Aber natürlich komme es darauf an, wie man Gemeinde definiere. "Wenn man nach den Aussagen Jesu im Matthäusevangelium geht, entsteht Gemeinde da, wo zwei oder drei im Namen Jesu versammelt sind", sagt Jacobs, die für das alternative Gemeindeprojekt raumschiff.ruhr in Essen arbeitet. Das Internet sprenge die klassische Definition der Ortsgemeinde. Seelsorge, Verkündigung, Gemeinschaft - dies alles seien Dinge, die auch online funktionieren. Schwieriger sei es mit den Sakramenten.
Deswegen möchte sich die Theologin Birgit Mattausch nicht auf ein klares "Ja" festlegen. "Unsere Sakramente Taufe und Abendmahl werden in Kohlenstoffform gereicht. Das wird online schwierig." Aber dafür könne sich in Zukunft auch noch eine Lösung finden lassen. Dass die Netzgemeinde im Hinblick auf die Bedeutung von Kirchenhierarchien anders funktioniere, könne man an den Reaktionen auf Hubers Tweet sehen. "In der digitalen Gemeinschaft zählt, sich zu öffnen, bereit zu sein, etwas zu teilen und sich beraten zu lassen - darauf kommt es an und nicht auf die Stellung in der Kirche", sagt die 43-Jährige. In sozialen Netzwerken passierten Dinge, die in Ortsgemeinden weniger vorkämen. "In welcher Gemeinde vor Ort treffen sich Leute jeden Tag, um zu beten?", sagt Mattausch, die als Referentin am Evangelischen Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik in Hildesheim arbeitet.
Damit meint Mattausch digitale Formate wie die Twomplet. Jeden Abend um 21 Uhr feiert eine Twittergemeinschaft Abendandacht (lateinisch Komplet). Einer betet vor, die anderen können nach Belieben Fürbitten oder Gebete einbringen. Seit 2014 gibt es die Twomplet.
Die Theologin und Pfarrerin Kerstin Söderblom (55) hat damit selbst gute Erfahrungen gemacht. "Ich habe bei Twomplet selbst schon durch das Netz Trost und Seelsorge erfahren", sagt sie. "So eine Erfahrung ist, was Interaktion und Zwiesprache mit einer Gemeinschaft und mit Gott betrifft, nicht weniger intensiv als in einem analogen Gottesdienst." Natürlich gebe es im Digitalen Grenzen. Aber digitale Communitys könnten auch milieubezogene oder orts- und zeitbezogene Grenzen überwinden und seien dadurch barrierefrei. Söderblom wünscht sich in dieser Hinsicht noch mehr landeskirchliches Engagement.
Dass auch Landeskirchen in Sachen digitale Kirche einen Treffer landen können, zeigt die neue App "XRCS" ("Exercise"). Sie erhielt kurz nach der Veröffentlichung unter dem Hashtag #digitaleKirche auf Twitter viel positives Feedback. Entwickelt wurde sie im Auftrag der Landeskirche Hannover. Die ersten 30 Tage befinden sich Nutzer im sogenannten Inspirationsmodus. Täglich erhalten sie drei Fragen, die sie zum Innehalten und Nachdenken anregen sollen. "Was hast du heute übersehen?" oder "Wann warst du das letzte Mal glücklich?", lauten die kurzen Impulse. Danach kann man mit dem Exerzitien-Modus weitermachen. Die App sei klug gemacht, sagt Mattausch. Sie überzeuge durch ihr schlichtes, aber farbenfrohes Design und die inhaltliche Tiefe der Fragen. "Ich könnte mir vorstellen, die App Menschen zu empfehlen, die sich nicht als Christen bezeichnen", sagt sie.
Menschen auf ihrem Glaubensweg zu begleiten und Leuten zu begegnen, die bislang wenig mit der Kirche in Kontakt waren, ist das Ziel von Gunnar Engel (31). Der Pastor leitet eine Gemeinde in Schleswig-Holstein und betreibt als Hobby seit einem halben Jahr einen Youtube-Kanal. Er hat bereits 1.300 Abonnenten, was für einen christlichen Account ziemlich erfolgreich ist. Jede Woche veröffentlicht er ein Video. Er macht Themenvideos zur Taufe oder zum Bibelstudium, dreht einen Video-Blog oder räumt in "Frag den Pastor"-Videos mit Klischees über Religion und den Pfarrberuf auf.
Aber auch der Youtube-Pastor hat Zweifel, ob es eine reine Netzgemeinde geben kann. "Ich glaube, gemeinsames Beten oder Bibelarbeit ist kein Problem", sagt er. "Beim Gottesdienst würde mir etwas fehlen. Die Netzgemeinde ist ein Zusatz, aber kein Ersatz. Die Nähe und die Begegnung würden mir fehlen."
Die Wächter der Kirche
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Nach einer Hochzeit kehrt ein Küster Blüten vor der Kirche zusammen.
Lothar Püster gehört zu den Menschen, deren Augen leuchten, wenn sie über ihre Arbeit sprechen. Der Mittfünfziger ist Kirchenvogt – oder Küster oder Mesner, wie der Beruf in anderen Gegenden genannt wird. Seit kurzem ist er in St. Andreas tätig, einer Kirche im Zentrum von Braunschweig, deren Bau um 1160 begann. Zuvor hatte Püster eine von zwei Vollzeit-Stellen am Dom der niedersächsischen Stadt inne.
Kirchenvögte halten die Kirche in Ordnung. Außerdem nehmen viele von ihnen Aufgaben im Gottesdienst wahr. Lebhaft erinnert sich Lothar Püster an den Gottesdienst in der Osternacht 2018. Er beginnt traditionell um 23 Uhr. Im Dom war es dunkel und still. Hunderte Augenpaare folgten Püster, während er, begleitet vom Gesang des Domchores, die Osterkerze hineintrug. Mit Hilfe einer langen Bambusstange entzündete er den siebenarmigen Leuchter, der wohl aus dem Jahr 1190 stammt. Um das hinzubekommen, hatte er vorher geübt und musste sich nun sehr konzentrieren. Das Erlebnis sei "unbeschreiblich" gewesen, sagt der Familienvater und zitiert aus der Bibel: "Jesus Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt." Bewegt fährt er fort: "Solche Emotionen kann man, glaube ich, nur in ganz wenigen Berufen haben."
Küster ist ein Beruf mit Tradition, von der Lothar Püster, der Erster Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Küsterbundes ist, kundig berichten kann. Das Wort Küster geht auf das lateinische Substantiv "custos" (Hüter, Wächter) zurück. "Wir sind morgens die Ersten, die die Kirche aufschließen, und abends die Letzten, die gehen", sagt Lothar Püster.
Im 19. Jahrhundert war es vielerorts üblich, dass Küster gleichzeitig Schulunterricht erteilten. In manchen Regionen waren sie auch als Organisten tätig. "Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es fast ausschließlich Männer, die den Beruf ausübten, und sie konnten davon ihre Familien ernähren", sagt Püster. "Doch seit Beginn der siebziger Jahre ist zu erkennen, dass die Arbeitsstunden immer weniger werden."
Dr. Christopher Kumitz-Brennecke betreut die Kirchenvögte in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig fachlich und ist ihr Gesprächspartner in geistlichen Fragen. Mit "weniger als ein Dutzend" beziffert der Pfarrer die Zahl der Hauptamtlichen in seiner Landeskirche. Viele Küster arbeiten Teilzeit, oft weniger als zehn Stunden pro Woche. Auf dem Land sind es vielerorts sogar Ehrenamtliche, die das Kirchengebäude pflegen, Faltblätter auslegen und ähnliche Aufgaben erledigen. Wieviel Küsterinnen und Küster es bundesweit überhaupt gibt, darüber kann die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) keine Angaben machen. Lothar Püster sagt über seine Kolleginnen und Kollegen in der Landeskirche in Braunschweig: "Zwei Drittel sind Frauen. Das Altersspektrum reicht von Mitte Zwanzig bis Mitte Fünfzig."
Eine oder sogar zwei Vollzeitstellen für Küster leisten sich vielerorts nur noch Schwerpunktkirchen in Großstädten, in die viele Touristen strömen. Vollzeit oder Teilzeit – die Küster haben alle Hände voll zu tun. Neben der Reinigung der Kirchenräume führt Lothar Püster Besucherinnen und Besucher durch St. Andreas und auf den Kirchturm. Er pflegt den Pfarrgarten, übernimmt Verwaltungsgänge für die Gemeinde und handwerkliche Tätigkeiten im Kindergarten von St. Andreas. Außerdem hat er noch Aufgaben in der Liberei, einer Bibliothek aus dem 15. Jahrhundert, und bei Veranstaltungen in der Stadt.
Die Kirchenvögte treffen immer häufiger auf Besucherinnen und Besucher, denen das Christentum kaum noch vertraut ist. Oft genug sind sie die ersten Personen, denen diese in einer Kirche begegnen, und sollten auch bereit sein, auf Fragen zu antworten. Lothar Püster findet es in Ordnung, wenn Menschen nach dem Einkaufsbummel mit vollen Taschen einen Zwischenstopp in einem Gotteshaus einlegen: "Was sollen sie denn machen? Erst die Tüten nach Hause bringen und dann wiederkommen?" Ob sie sich nur ausruhen oder tatsächlich ein Gebet sprechen, sei auch gar nicht wichtig: "Entscheidend ist, dass sie das Gebäude wahrnehmen, und dass wir Mitarbeiter da sind und das ermöglichen." Dass die Kirchen für einen großen Teil der Bevölkerung immer noch wichtig seien, spüre er ja nach Katastrophen. Da würden sich die Bänke füllen. "Nicht umsonst heißt es ja: Wenn die Not am größten ist, hilft dir der liebe Gott am meisten", sagt der Kirchenvogt.
Im sonntäglichen Gottesdienst sitzen immer mehr ältere Menschen. Sie wollen, dass Heizung und Akustik gut funktionieren – beides Aufgabe der Küster. "Wenn eine Lautsprecheranlage nicht gut eingestellt ist, sagen viele Seniorinnen und Senioren: Da schau ich mir lieber zu Hause den Fernsehgottesdienst an", sagt Fachreferent Kumitz-Brennecke. In allen Altersgruppen seien die Ansprüche an die Ästhetik gestiegen: "Wir können nicht mehr Gottesdienst feiern mit Staub und vertrockneten Blumen auf dem Altar. Die Menschen nehmen das ganzheitlich wahr." Da könne die Predigt noch so mitreißend sein, in einem heruntergekommenen Gebäude würde die Botschaft verhallen. Wie das gelungene Gottesdiensterlebnis in der gut geheizten, schön geschmückten Kirche angesichts der sinkenden Zahl der Vollzeit-Küster künftig zu bewerkstelligen ist, ist eine Frage, die nicht nur Kumitz-Brennecke umtreibt.
Der klassische Weg in den Beruf ist eine Ausbildung im Handwerk mit anschließender Fortbildung bei der Landeskirche. In den Seminaren geht es um geistliche und praktische Fragen: Wie werden Paramente – im Kirchenraum verwendete Textilien – aufbewahrt, so dass sie keinen Schaden nehmen? Welcher Blumenschmuck passt zu welchem Feiertag im Kirchenjahr? Lothar Püster ist Heizungsbauer und hat eine Zeit lang als Hausmeister für die Diakonie gearbeitet. Als der damalige Kirchenvogt des Braunschweiger Doms nach 37 Jahren in dieser Position in Rente ging, bewarb er sich um die Stelle. Das war im Jahr 2000, und damals interessierten sich 49 Personen für den Job. Heute würden sich höchstens noch ein oder zwei Menschen auf so eine Ausschreibung bewerben, meint Lothar Püster.
Der Beruf ist körperlich anstrengend. Die Kirchenglocken werden vielerorts per Knopfdruck geläutet. Doch Kirchenvögte müssen mit meterlangen Staubwedeln hantieren, um Wände von Spinnweben und Staub zu befreien. Sie warten Lampen in luftiger Höhe, halten jahrzehntealte Heizungsanlagen auf Trab, schippen Schnee und sorgen mit dafür, dass bei Veranstaltungen die Technik funktioniert. Und was tun, wenn kurz vor einem Orgelkonzert der Strom ausfällt wie an jenem Tag im Braunschweiger Dom, an den sich Lothar Püster noch gut erinnert? "Kühlen Kopf bewahren, Werkzeug holen" und das Problem schnell lösen. Und das alles im guten Anzug und vor 600 Zuschauern.
Klage gegen "Hitlerglocke" in Kirchturm abgewiesen
Ein Gemeinderatsbeschluss zur sogenannte "Hitlerglocke" im Turm der protestantischen Kirche von Herxheim am Berg ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Beschluss, die umstrittene Glocke als "Anstoß zur Versöhnung und Mahnmal gegen Gewalt und Unrecht" im Turm zu belassen, stelle keine Verhöhnung der NS-Opfer dar, stellte das rheinland-pfälzische Oberverwaltungsgericht in Koblenz in einer am 30. Januar veröffentlichten Entscheidung (AZ: 10 A 11557/18.OVG) klar. Die nationalsozialistischen Verbrechen würden in dem Beschluss ausdrücklich anerkannt, was durch eine Gedenktafel zum Ausdruck gebracht werden solle.
Die Koblenzer Richter bestätigten damit eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Neustadt an der Weinstraße von Oktober 2018 und lehnten den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ab. Auch eine zweite abgewiesene Klage des Mannes gegen Äußerungen des Herxheimer Ortsbürgermeisters wurde nicht zur Berufung zugelassen. Gegen den Verbleib der Herxheimer "Hitlerglocke" im örtlichen Kirchturm hatte ein Deutscher jüdischen Glaubens geklagt, dessen Verwandte Opfer des NS-Terrors geworden waren.
Die 1934 gegossene, mit Hakenkreuzen und der Aufschrift "Alles fuer's Vaterland - Adolf Hitler" verzierte Polizeiglocke in der protestantischen Kirche brachte das rund 800 Einwohner zählende pfälzische Herxheim am Berg wiederholt bundesweit in die Schlagzeilen. Im Laufe der Debatte musste der Herxheimer Ortsbürgermeister wegen relativierender Aussagen über die NS-Zeit zurücktreten. Seit September 2017 ist die Glocke, die sich im Eigentum der Kommune befindet, stillgelegt. Die Evangelische Kirche der Pfalz befürwortet den Austausch von Glocken mit anstößigen Inschriften aus der Zeit des Nationalsozialismus.
Religiöse Menschen sind glücklicher
In Glaubensgemeinschaften aktive Menschen sind einer US-Studie zufolge glücklicher als Menschen ohne religiöse Bindung. Religiös Aktive seien auch glücklicher als Menschen, die einer Religionsgruppe nur als passives Mitglied angehören, heißt es in der in Washington vorgestellten Erhebung des Forschungsinstituts Pew.
Die Untersuchung stützt sich den Angaben zufolge auf Daten aus 26 Staaten vornehmlich in Europa und Lateinamerika. In Deutschland sind der Studie zufolge 30 Prozent der "aktiven Gläubigen", 24 Prozent der "passiven Gläubigen" und 20 Prozent der Menschen ohne Bindung an eine Glaubensgemeinschaft sehr glücklich. In den USA gaben 36 Prozent der "aktiven Gläubigen" an, sehr glücklich zu sein. 25 Prozent der US-Amerikaner ohne religiöse Bindung und ebenfalls 25 Prozent der nominell Gläubigen sind den Angaben nach sehr glücklich. Religiös Aktive seien mit Abstand am glücklichsten in Mexiko (71 Prozent) sowie in Australien und Japan (je 45 Prozent).
Engagement auch außerhalb der Kirche
In den meisten untersuchten Ländern nähmen "aktive Gläubige" stärker am gesellschaftlichen Leben und an Wahlen teil, erklärte das Meinungsforschungsinstitut. In den USA gehen demnach 69 Prozent der "aktiven Gläubigen" wählen, 59 Prozent der "passiven" und 48 Prozent der religiös nicht gebundenen Menschen. In Deutschland wählten 77 Prozent der "aktiven Gläubigen", 71 Prozent der "passiven" und 69 Prozent der nicht religionsgebundenen Menschen, hieß es weiter. Laut Untersuchung engagieren sich "aktive Gläubige" zudem stärker in nicht-religiösen Verbänden als Menschen ohne religiöse Bindung.
Für den Bericht wertete das in Washington ansässige Pew Research Center zwei internationale Langzeitbefragungen und eine eigene Erhebung aus den USA aus. Die Autoren warnten jedoch vor einer Überinterpretation der Forschungsergebnisse. Die Untersuchung liefere keine Beweise, dass eine Teilnahme am religiösen Leben glücklich mache. Möglicherweise nähmen bestimmte Menschen am religiösen Leben teil, weil sie ohnehin glücklicher seien als andere.
"Hölle als Gefühl, nicht mehr lieben zu können"
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“Die Hölle”, Gemälde von Pereira, Diogo und Vieira de Mattos, um 1640/50.
Herr Rohls, wie geht moderne protestantische Theologie mit dem Höllen-Begriff um?
Jan Rohls: Mit der Vorstellung von der Existenz eines Teufels ist seit der Aufklärung auch die Höllenvorstellung verblasst. Noch im 16. Jahrhundert finden wir bei Ignatius von Loyola die Empfehlung, sich die Hölle konkret vorzustellen, den Schwefel zu riechen, das Rasseln der Ketten zu hören, mit denen die Verdammten gefangen sind. 300 Jahre später haben sich diese Vorstellungen aufgelöst. In Dostojewskis Roman "Die Brüder Karamasow" wird Hölle als das Gefühl definiert, nicht mehr lieben zu können. Das zeigt die radikale Umformulierung der ursprünglichen Höllenvorstellung: Sie wird entmythologisiert und existenzialistisch interpretiert.
Sie haben einmal davon gesprochen, dass die Hölle die Möglichkeit war, "postmortale Gerechtigkeit" herzustellen. Was heißt das?
Rohls: Um das zu erklären, muss man sehen, wie die Höllenvorstellung überhaupt entstanden ist. In der altisraelitischen Überlieferung gab es keine Hoffnung über den Tod hinaus. Das änderte sich später. Und weil böse Taten von Einzelnen innerirdisch oft nicht bestraft wurden, entstand die Vorstellung einer Hölle als Pendant zum ewigen Heil - als Ort, an dem böse Taten zumindest nach dem Tod gesühnt würden. Die Frage nach Gerechtigkeit ist natürlich immer noch relevant. Theologie heute bietet dafür allerdings kaum Lösungsansätze. Denn wie sollte so ein Ausgleich für ausgebliebene weltliche Gerechtigkeit aussehen? Kein noch so schönes Jenseits wird ein leidvolles irdisches Leben aufwiegen können.
Auch wenn die Hölle theologisch also überholt ist, wird der Begriff im Alltag häufig gebraucht...
Rohls: Das ist richtig. Denken wir an den gerade vergangenen Holocaust-Gedenktag: Natürlich kann man sagen, Auschwitz war die Hölle. Das hat dann aber mit dem traditionellen Höllengedanken nichts mehr zu tun. Die Hölle im ursprünglichen Sinn war gebunden an Recht und Unrecht, sie bestrafte sozusagen nachträglich eine Ungerechtigkeit. Das kann man von einem Konzentrationslager gerade nicht behaupten - es ist selbst die Ungerechtigkeit schlechthin.
Vom 1. bis 3. Februar geht es in der Erlöserkirche München-Schwabing um die Hölle. Die Reihe mit dem Titel "Nach(t) der Avantgarde" startet am 1. Februar um 19 Uhr mit einem Konzert, bei dem fünf Komponisten ihre Werke uraufführen. Am 2. Februar diskutieren die Künstlerinnen und Künstler um 16 Uhr mit Theologieprofessoren den Höllenbegriff. Am 3. Februar stellt der Musikgottesdienst um 10 Uhr eins der Werke in den Mittelpunkt. Veranstalter sind die Evangelische Stadtakademie zusammen mit der Erlöserkirche und dem Kulturreferat.
Kritik an Durchsuchungen nach Kirchenasyl
Die jüngsten Durchsuchungen in vier Hunsrücker Kirchengemeinden haben einen neuen Streit über das Kirchenasyl ausgelöst. Die Vorstandsvorsitzende der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche", Dietlind Jochims, kritisierte eine Kriminalisierung des Kirchenasyls. Der Migrationsexperte der Evangelischen Kirche im Rheinland, Rafael Nikodemus, sprach von einem bundesweit beispiellosen Vorgang und kündigte ein Beschwerde an. "Diese Eskalation haben wir noch nicht gehabt", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Gemeindebüros und private Arbeitszimmer von fünf Pfarrern waren am 31. Januar durchsucht worden. Hintergrund sind mittlerweile beendete Kirchenasyle, die Auslöser für ein Ermittlungsverfahren gegen die Pfarrer aus dem Rhein-Hunsrück-Kreis in Rheinland-Pfalz waren. Bei der Hausdurchsuchung standen sowohl Gemeindebüros als auch private Arbeitszimmer der Pfarrer im Fokus. "Asyl in der Kirche" erklärte, mit den Durchsuchungen sei eine rote Linie überschritten worden. "Wir sind entsetzt über die jetzt erfolgte weitere Eskalationsstufe und halten ein solches Vorgehen für vollkommen unverhältnismäßig", sagte Vorstandschefin Jochims in Berlin.
Strafanzeige des Landrats als Auslöser
Kirchenrat Nikodemus kündigte an, die rheinische Kirche werde Beschwerde wegen der Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme einlegen. Die Landeskirche beobachte seit einiger Zeit eine Verschärfung der Atmosphäre im Kirchenasyl. Sowohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch die Länder verstärkten die Restriktionen. "Wir spüren einen enormen Druck der Ausländerbehörden", beklagte der Migrationsexperte. Diese Verschärfungen zeigten sich auch auf der juristischen Ebene: Es würden mehr Strafanzeigen gegen Pfarrer gestellt, die oft aber ausgeräumt werden könnten, sagte Nikodemus. Der Hunsrücker Fall wecke nun Furcht bei Gemeinden. Im Zusammenhang mit den anderen Verschärfungen beobachte er, dass die Zahlen von Kirchenasyl leicht zurückgingen.
Auch der betroffene evangelische Kirchenkreis Simmern-Trarbach zeigte sich nach den Durchsuchungen erschüttert. Superintendent Hans-Joachim Hermes sprach von einer großen Anspannung bei den betroffenen zwei Pfarrerinnen und drei Pfarrern sowie ihren Ehepartnern und Sekretärinnen. "Zum Glück waren die Kinder noch in der Schule", sagte der Theologe dem epd. "Wir sind froh, dass das vorbei ist und hoffentlich nicht wieder passiert." Anlass für die Ermittlungen waren Strafanzeigen des örtlichen Landrats, Marlon Bröhr (CDU), wegen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt. Die Gemeinden hatten insgesamt neun sudanesische Flüchtlinge ins Kirchenasyl aufgenommen. Mittlerweile haben die Flüchtlinge nach Angaben von Hermes das Kirchenasyl verlassen und leben wieder in ihren Wohnungen.
Sie waren über Italien nach Deutschland gekommen, weshalb ihre Asylanträge nach EU-Recht eigentlich dort bearbeitet werden müssten. Allerdings ist nach einer Frist von sechs Monaten Deutschland für sie zuständig - diese Frist kann indes auf 18 Monate ausgedehnt werden, wenn Kirchengemeinden Verfahrensabsprachen nicht einhalten. "Das Kirchenasyl hat bewirkt, dass sie nicht in die unsägliche Situation nach Italien abgeschoben werden", erklärte der Superintendent. In dem Land lebten viele Asylbewerber in einem erbärmlichen Zustand auf der Straße.
Lutherische Gemeinde in Russland erhält Kirche zurück
Die 1848 errichte Kirche war nach der Enteignung zum Bürogebäude umgebaut worden und befand sich bei der Rückgabe in einem schlechten Zustand. Mit Hilfe eines 2003 gegründeten Fördervereins - Jaroslawl ist eine Partnerstadt Kassels - konnte sie wieder in einen für Gottesdienste und Veranstaltungen nutzbaren Zustand gebracht werden. Einer der Gründungsmitglieder des Fördervereins war der ehemalige kurhessische Bischof Christian Zippert.
Bisher hat der Förderverein nach Angaben Stiels rund 230.000 Euro an Spenden für den Wiederaufbau der Kirche gesammelt. 2015 konnte eine von einer Kasseler Kirchengemeinde geschenkte Orgel eingebaut werden. Der russische Gemeindepfarrer Ivan Shirokov werde am 27. Mai in Kassel erwartet und wolle auf einem öffentlichen Forum über die Situation in Jaroslawl berichten, ergänzte Stiel. Die Kirchengemeinde in Jaroslawl zählt nach Angabe des Fördervereins rund 70 Mitglieder.
Modellprojekt vereint Jung und Alt in einem Chor
Foto: epd-bild/Hubert Jelinek
Rund 80 Menschen im Alter von sieben bis 90 Jahren stimmen sich unter der Anleitung von Kreiskantor Benjamin Dippel aufs gemeinsame Singen ein.
"Sisa, sisa, sosa, sosa", singt der siebenjährige Marcel und öffnet beim "A" den Mund weit - wie zu einem Gähnen. Seine Schwester, seine Eltern und gleich beide Omas und Opas tun es ihm gleich. In dicken Winterpullis ist die Familie ins Gemeindehaus der St.-Sixti-Kirche Northeim zu einer Chorprobe gekommen. Wie rund 70 weiteren Kindern und Erwachsenen wird ihnen schnell warm. Kräftig schütteln sie sich, strecken sich lang, schlürfen und pusten - dann stimmen sie erste Töne an. In einem Modellprojekt der hannoverschen Landeskirche singen in Northeim in den nächsten drei Monaten bis zu vier Generationen gemeinsam in einem Chor.
Kantor Benjamin Dippel stimmt Zeile für Zeile eines Liedes an. Der 38-Jährige leitet in der Gemeinde alles, was mit Musik zu tun hat. Das sind unter anderem eine Singschule für die Kleinen, die Kantorei "St. Sixti" für Erwachsene und den Chor "Sixti Plus" für Ältere ab 60 Jahren. Doch normalerweise singen alle Altersgruppen getrennt und nur bei wenigen Veranstaltungen im Jahr zusammen. Deshalb hat Dippel nun zusammen mit Silke Lindenschmidt von "Vision Kirchenmusik" - der Einrichtung für Musikvermittlung in der Landeskirche Hannovers - den "Generationenchor" ins Leben gerufen.
Derlei Chöre sind eher selten, weiß Lindenschmidt, die unter anderem mit besonderen Konzertformaten neue Wege in der Kirchenmusik auslotet: "Es gibt punktuelle Begegnungen bei Konzertprojekten." Manchmal gingen Chorsänger als Singpaten in den Kindergarten oder ein Kinderchor singe im Pflegeheim für die Senioren. "Im Rahmen einer Chorarbeit mit künstlerischem Anspruch ist das Generationsübergreifende eher seltener zu finden." Auch der Deutsche Chorverband sieht in "integrativen Singangeboten" einen neueren Trend. Während Posaunen-Chöre seit Jahrhunderten Generationen zusammenführten, sei dies beim Singen schwieriger, erläutert Lindenschmidt. Kinder mit noch nicht fertig ausgebildeten Sing-Stimmen bräuchten eine andere Anleitung als Erwachsene. Für den Generationenchor in Northeim wird deshalb der Komponist Bernhard König ein eigenes Stück schreiben. Die Aufführung wird der NDR in einem Radiogottesdienst am 24. März aus der St.-Sixti-Kirche live übertragen.
Doch erst einmal arbeitet der Laienchor meist ohne Noten. Mit klaren Stimmen singen Marcel und Noemi Elsaesser mit sechs anderen Kindern vor. Der übrige Chor folgt, zunächst zaghaft, mit jedem Mal sicherer. Auf einmal hallt es nicht drei-, nicht vier-, sondern siebenstimmig: "Ein neuer Tag ist da". "Und jetzt ganz leise", flüstert Dippel. Augenblicklich werden alle Stimmen leiser, halten aber präzise den Ton. "Unglaublich", freut sich Dippel. Dass schon die erste Probe so gut werde, der "rote Faden" sich derart schnell bilde, habe er nicht erwartet. Nicht nur auf die eigene Stimme zu achten, sondern zugleich auch auf die des Nachbarn, erfordere Geschick.
Wie viele aus dem Ort singen in der Familie Elsaesser seit ihrer Schulzeit alle. "Im Chor und beim Wäsche-Aufhängen auch", wie Marcels 70-jährige Oma erzählt. Im Generationenchor spielt für Silke Lindenschmidt noch etwas anderes eine Rolle. Eltern seien beruflich mehr und mehr eingespannt und Kinder besuchten oft die Ganztagsschule, sagt sie. "Wenn alle etwas gemeinsam machen, ist das wertvolle Familienzeit." Auch Marcel betont: "Ich finde es toll, wenn alle da sind." Der Jüngste der Familie hatte darauf bestanden, dass auch der Opa mitkam. Beim nächsten Mal will Familie Elsaesser sogar mit vier Generationen dabei sein. Da nicht viel nach Noten gesungen wird, kann die 92-jährige Uroma mitproben, auch wenn ihre Augen nicht mehr so gut sind.
Rekowski fordert Rückkehr zu konstruktivem Dialog beim Kirchenasyl
Heiko Kantar/epd-bild
Manfred Rekowski, hier bei einem Besuch der Sea Watch 3 im Hafen von Valetta. Der Theologe will sich ein Bild der Rettungsaktionen machen
Gemeinden, die Kirchenasyl gewähren, gerieten immer stärker unter Druck, schreibt der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland in einem Gastbeitrag für die in Weimar erscheinende Kirchenzeitung "Glaube und Heimat" (Ausgabe zum 10. Februar). Räumungen würden angedroht, Pfarrer erhielten Strafanzeigen. "Dies alles liegt nicht am Kirchenasyl selbst, sondern am behördlichen Umgang mit ihm."
In der Vergangenheit seien Fälle aus einem Kirchenasyl in einer hohen Zahl erfolgreich abgeschlossen worden und hätten zu einem Bleiberecht geführt, erläutert Rekowski, Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Haltung der Behörden habe sich allerdings stark gewandelt. "Sie agieren restriktiver." Anders als bis vor eineinhalb Jahren seien nur noch wenig positive Prüfungen seitens des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zu verzeichnen. Derzeit sind den Angaben nach insgesamt in Deutschland 532 Fälle von Kirchenasyl bekannt. Betroffen sind demnach 850 Flüchtlinge, darunter 190 Kinder.
Zeit, um Lösungen zu finden
Rekowski verwies auf das Fallbeispiel einer Frau aus Eritrea, die mit ihrem Kind über Italien nach Deutschland gelangt war. Beide seien von Menschenhändlern schwer misshandelt und mit dem Tod bedroht worden. Trotz der formalen Zuständigkeit Italiens für das Asylverfahren habe die Frau dort keinen effektiven Zugang zu dem Verfahren erhalten. Eine deutsche Kirchengemeinde habe der Frau mit dem Kind Schutz gewährt, um ein Asylverfahren in Deutschland zu erreichen und eine Rücküberführung nach Italien zu verhindern, wo die Frau sehr wahrscheinlich von Obdachlosigkeit bedroht sei und keine ausreichende medizinische Betreuung erhalte.
Der rheinische Präses betont in seinem Beitrag, dass mit dem Kirchenasyl Zeit für Lösungsmöglichkeiten gewonnen werden könne, um unnötige Härten in Einzelfällen zu verhindern. "Das geschieht im Dialog mit den Behörden und stellt den Rechtsstaat keineswegs infrage."
"Hat Jesus nicht auch so gehandelt?"
Foto: Raderberg und Thal
Die evangelische Philippus-Gemeinde Köln porträtiert Menschen auf Instagram mit kleinen Bild-und Text-Geschichten.
Nur wenige Kirchengemeinden haben einen eigenen Instagram-Kanal. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie die Idee für @raderbergundthal hatten?
Holger Geißler: Wir haben in unserer Gemeinde eine Kirche, die nicht wie üblich in der Mitte des Dorfes steht. Unsere Kirche hat auch keinen hohen Kirchturm, sondern wird von einer Waschanlage verdeckt und ist deshalb kaum zu sehen. Bei @raderbergundthal ging es darum, dass wir die Gemeinde auf irgendeine Art und Weise sichtbar machen wollten. Gleichzeitig haben wir die schöne Situation, dass viele Menschen zu uns ziehen. Die Stadtteile Raderberg, Raderthal und Höningen, die zur Philippus-Gemeinde gehören, wachsen, weil große Brachen zu Neubaugebieten wurden und dadurch viele junge Familien zu uns kommen. Wie wir auf die Neuzugezogenen zugehen können, ist in unserer Gemeinde schon lange Thema. Da lag es natürlich auch nahe, sich mit einem sozialen Netzwerk wie Instagram zu beschäftigen - weil man damit die Zielgruppe der jungen Familien richtig gut erreichen kann. Es ist halt normal, dass Menschen, wenn sie neu in einen Stadtteil ziehen, auch bei Instagram gucken, was dort überhaupt passiert. Wenn man dort heute nach #Raderthal oder #Raderberg sucht, ist die Chance, dass man bei uns landet, relativ hoch.
Jeden Dienstag erscheint ein neuer Post mit einem neuen Porträt. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Menschen dafür aus?
Geißler: Die Porträtierten müssen in einem der drei Stadtteile wohnen oder extrem viel Zeit hier verbringen. Wir haben zum Beispiel einen Buchhändler porträtiert, der in Solingen wohnt, aber seine Zeit von Montagmorgen bis Samstagmittag in seinem Geschäft in Raderthal verbringt. Er wohnt zwar nicht hier, aber er prägt den Stadtteil. Abgesehen davon nehmen wir jeden, der Lust hat. Es geht uns darum, die Menschen, die hier leben, zu zeigen. Und nicht jeder ist Mitglied der Philippus-Gemeinde. Wir stellen aber zumindest immer die Frage, ob der Porträtierte eine Verbindung zur Gemeinde hat. Ich glaube, ich hätte es auch langweilig gefunden, wenn wir auf Instagram nur unsere eigenen Gemeindemitglieder porträtiert hätten. Mal abgesehen, dass es sowas schon bei uns schon seit Jahren im Gemeindebrief gibt.
Johanna Phan: Wir wollen durchaus eine Mischung schaffen. Unser Ziel ist es, möglichst viele Menschen aus den Stadtteilen zu erreichen - egal, welche Konfession sie haben oder, ob sie überhaupt irgendetwas mit Glauben zutun haben oder nicht.
Eine Porträtierte erzählt, dass sie an Raderthal die Kombination aus Land und Stadt mag. Ihr fehlt ein Café, der Nahverkehr könnte ausgebaut werden. Die Philippus-Gemeinde kennt sie nur aus ihrer Fahrschulzeit - der Rollertest-Übungsplatz war dort in der Nähe. Warum haben Sie sich dafür entschieden, dass es in den Posts nicht vorrangig um Glauben gehen soll?
Phan: Hat Jesus nicht auch so gehandelt? Ging es ihm nicht auch erst einmal um den Kontakt zu den Menschen? Ich finde, dass Kirche sich sehr oft, natürlich nicht immer - das kann man nicht pauschalisieren - um sich selbst dreht. Mit dem Instagram-Kanal wollten wir dem entgegenwirken und proaktiv den Kontakt zu den Menschen suchen. Sie sollen nicht erst zu uns kommen müssen. Ich finde es spannend zu sehen, wie viele Menschen dann doch über Kirche reden wollen.
Geißler: Nachdem wir das Projekt und uns vorgestellt haben, taucht das Thema Glauben oft auch ungefragt auf. Die Leute sind da echt offen und auskunftsbereit. Ich kann mich zum Beispiel an ein Gespräch mit einer jungen Frau erinnern, das sehr intensiv wurde, weil sie mir erzählte, welche Glaubenserfahrungen sie gemacht hat. Es war ihr einfach ein Bedürfnis, darüber zu sprechen. Das hat mich schon überrascht. Ich kann mich an jedes Gespräch, das ich geführt habe, erinnern und es waren einfach sehr bereichernde Termine. Und wir können die Menschen dann zumindest in unsere Gemeinde einladen.
"Wir wünschen uns die Porträts sehr viel bunter, denn auch die Stadtteile sind viel bunter"
Mit den Porträts wollen Sie die Vielfalt der Menschen zeigen, die in den drei Kölner Stadtteilen leben. Aus interreligiöser Sicht betrachtet tauchen in den Posts bislang vor allem Protestanten und Katholiken auf.
Geißler: Ich muss sagen, Menschen anderer Religionen zu finden, ist gar nicht immer so einfach. Es gibt bei uns im Gemeindegebiet natürlich auch viele Muslime. Und wir hätten sehr gerne auch einen höheren Anteil an Nicht-Deutschen in unseren Posts. Ich habe natürlich auch schon Leute, die sozusagen nicht unserem "Klischee" entsprechen, angesprochen - aber diejenigen dazu zu bekommen, bei unserem Projekt mitzumachen, ist gar nicht so einfach. Wir wünschen uns die Porträts aber sehr viel bunter, denn auch die Stadtteile sind sehr viel bunter, als sie zurzeit auf unserem Profil erscheinen. Aber das haben wir bis jetzt noch nicht geschafft.
Die meisten Likes hat das Foto eines Imbiss-Betreibers, der mit der Gemeinde vor allem den ehemaligen Hausmeister verbindet für den er während Veranstaltungen öfter Essen geliefert hat.
Geißler: Dass das unser prominentester Post ist, hat uns eigentlich kaum überrascht, weil der Imbissbetreiber quasi der Prinz von Raderthal ist. Einmal im Jahr gibt es in der Schulze-Delitzsch-Straße, die direkt an den Imbiss grenzt, einen Karnevalsumzug. Das ist der kleinste Umzug Kölns und der Imbissbetreiber ist seit Jahren der Karnevalsprinz. Sicherlich gehört er auch zu den bekanntesten Raderthalern. Dazu muss man sagen: In Raderthal gibt es nicht viel Gastronomie. Von daher hat er eine ganz zentrale Stellung im Viertel.
"Die meisten Posts verbreiten sich über Hashtags und Standorte"
Mit dem Fokus auf die Stadtteile Raderberg, Raderthal und Höningen ist @raderbergundthal räumlich stark begrenzt. Wie werden die Menschen auf das Projekt aufmerksam, wenn Sie keine Gemeindemitglieder sind?
Phan: Ich glaube, das sieht man ganz gut am Porträt des Imbissbesitzers. Seine 62 Likes kommen vielleicht tatsächlich von den Menschen, die unseren Kanal abonniert haben. Aber daran glaube ich fast nicht. Die meisten Posts verbreiten sich über Hashtags und Standorte, die wir angeben. Man kann uns sonst über unsere Webseite finden, oder, wenn wir etwa bei Straßenfesten mit den Menschen ins Gespräch kommen. Bei einem Straßenfest sind wir zum Beispiel aktiv auf die Menschen zugegangen und haben eine Liste mit Freiwilligen geführt, die für das Projekt gerne von uns interviewt werden wollen.
Geißler: Wir haben bei Instagram auch die Möglichkeit, dass wir regelmäßig suchen, wer Hashtags mit den Stadtteilen postet. Wir folgen den Leuten dann. Die sehen dann, wer wir sind und in der Regel folgen sie uns auch zurück.
Was raten Sie Kirchengemeinden, die kein Instagram-Profil oder ein Projekt wie @raderbergundthal haben?
Phan: Nachmachen!
Geißler: Wenn es passt, nachmachen. Es hängt ja aber immer davon ab, welche Zielgruppe die Gemeinde hat und ob das Projekt helfen würde, diese Gruppe zu erreichen. Bei uns macht @raderbergundthal Sinn, weil wir nicht im Gemeindegebiet sichtbar sind und wir zugezogene Familien erreichen wollen. Wir wünschen uns aber natürlich auch, dass wir - wo es passt - nachgemacht werden. Wir geben gerne auch Tipps, was man machen kann und was man besser nicht macht.
Den Instagram-Kanal gibt es nun seit etwa einem Jahr. Die Evangelische Kirche im Rheinland hat das Projekt im März mit dem ersten Platz beim Medienpreis für digitale Projekte ausgezeichnet. Sie haben gut 40 Menschen porträtiert, 242 Menschen folgen @raderbergundthal. Wie zufrieden sind Sie?
Geißler: Ich glaube, dass wir sehr zufrieden sind. Eines der Projektziele war auf unsere Gemeinde aufmerksam zu machen, und das hat, dadurch, dass wir den Medienpreis gewonnen haben, total super geklappt. Es geht zwar immer größer, schneller, weiter, aber wir haben den Instagram-Account nicht aus diesem Grund angestoßen. Dass wir im Vergleich zu viel größeren Instagram-Accounts wenig Follower haben, finden wir zum jetzigen Zeitpunkt völlig okay. Man muss auch immer bedenken, dass unser regionales Feld sehr klein ist: In Raderberg, Raderthal und Höningen leben 17.000 Menschen. Die Philippus-Gemeinde hat knapp 2.200 Mitglieder. Das ist alles relativ klein und von daher sind wir zufrieden.
Phan: Amen.
Nahles: Christlicher Glaube ist kein Schutz für Politiker
Foto: Swen Pförtner/dpa
"Christus gibt an keiner Stelle auch nur irgendeine Hilfestellung für uns Politiker", so SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Andrea Nahles.
"Christus gibt an keiner Stelle auch nur irgendeine Hilfestellung für uns Politiker", so Nahles. Wer aus einer christlichen Haltung heraus versuche, anderen Menschen gegenüber immer Gesprächskanäle offenzuhalten, mache sich damit auch verletzlicher. "Christsein ist nichts, was einen vor der Wucht der Kritik schützt, im Gegenteil", sagte die Politikerin vor rund 100 Zuhörern. Besonders in Berlin seien viele Berufspolitiker über die Jahre deshalb zu Zynikern geworden. Auf die Frage, was ihre Partei von den Kirchen lernen könnte, nannte sie den achtsamen zwischenmenschlichen Umgang miteinander. Die Parteien wiederum könnten den Kirchen als Vorbild darin dienen, Veränderungen durchzusetzen und dafür Kompromisse auszuhandeln.
Ihre eigene katholische Kirche nahm Nahles gegen pauschale Kritik in Schutz. Die katholische Kirche sei unter Papst Franziskus liberaler geworden. Protestanten dürften sich nicht in der Vorstellung ausruhen, sie seien die fortschrittlichere Konfession: "Ich habe schon unheimlich viele konservative Evangelikale getroffen, und kenne so viel 'Pietcong' bei Euch." Auch in der katholischen Kirche werde es irgendwann einmal Priesterinnen geben, versicherte sie und warb für Verständnis, dass eine Weltkirche nicht schnell zu reformieren sei. "Erst vor einigen Jahren hat der Papst offiziell festgestellt, dass es keine Lindwürmer gibt. Manchmal braucht das etwas."
Auf Nachfrage aus dem Publikum sagte Nahles, sie stehe fest dazu, den konfessionellen Religionsunterricht an Schulen beizubehalten. Sie halte nichts davon, Grundlagen des Glaubens wie eine "völkerkundliche Einführung" zu vermitteln: "Dieses Lirum, larum Löffelstiel, alles in einen Topf, da bin ich völlig dagegen." Leider fehle vielen Deutschen inzwischen jegliche Vorstellung davon, was Religion einem Menschen bedeuten könne, bedauerte sie. Nahles war in der Evangelischen Hochschulgemeinde Mainz Gast der Veranstaltungsreihe "Chat in the Church".
Trauergeläut für einen Obdachlosen
Foto: epd-bild/Jens Schulze
Die Glocken läuten im Turm der Marktkirche Hannover.
Der tiefe, gleichmäßige Klang lässt die Menschen in Hannovers Innenstadt aufhorchen. Es ist kurz vor zwölf als die evangelische Marktkirche ihre große Trauerglocke anschlägt. Vermutlich in der Nacht ist ein Obdachloser im Schatten dieser Kirche gestorben. "Wir haben ihn im Blick gehabt, aber wir haben ihn nicht erreicht", sagt Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann mit gesenkter Stimme. In einer spontanen Trauerandacht erinnert sie an den Unbekannten, der in der Nähe des barrierefreien Nebenportals der Kirche sein Lager aufgeschlagen hatte.
Die gesamte Gemeinde sei tief erschüttert, sagt die Pastorin. Woran der Mann gestorben ist, sei zurzeit noch unklar. Die Polizei habe Ermittlungen aufgenommen. Gewalteinwirkung durch Fremde als Todesursache könne allerdings ausgeschlossen werden. "Es ist einfach schrecklich, dass ein Mensch in Deutschland auf der Straße sterben muss", sagt Kreisel-Liebermann.
Hilfe abgelehnt
Der ältere Mann habe bereits seit mehreren Tagen in der Nähe des Nebenportals campiert. Immer wieder hätten sie oder andere kirchliche Mitarbeiter ihm Hilfe angeboten, berichtet Kreisel-Liebermann. Als der Mann einmal nicht reagiert habe, hätten sie sogar den Notarzt gerufen. "Der hat dann aber festgestellt, dass der Mann sehr wohl ansprechbar war. Außerdem wollte er sich nicht von den Rettungskräften mitnehmen lassen", sagt die Pastorin. "In so einem Fall kann leider niemand gezwungen werden, Hilfe anzunehmen."
Zuletzt habe sie den Mann am 7. Februar gegen 17 Uhr angesprochen, sagt die Pastorin. Wegen des Regenwetters habe sie ihm angeboten, in die Kirche zu kommen: "Aber er hat sich nur abgewendet, wie schon so oft davor." Während der Andacht sind seine Habseligkeiten wie Isomatte, Schlafsack, Decken und Taschen bereits verschwunden. Nur noch eine im Wind flackernde Kerze neben der Kirche erinnert an den Namenlosen.
Aufarbeitung soll folgen
Zunächst wolle die Gemeinde den Tod verarbeiten, sagt die Pastorin. Dann aber wolle sie mit Sozialarbeitern und Initiativen das Gespräch suchen, wie zukünftig die Hilfe für Obdachlose im Bereich der Marktkirche noch verbessert werden kann. "Ein solcher Fall wird sich nie zu einhundert Prozent vermeiden lassen, aber vielleicht müssen wir einfach noch engmaschiger den Menschen beistehen", sagt Kreisel-Liebermann. Insbesondere, wenn wieder jemand direkt an der Kirche campiere, wolle sie für denjenigen ein Kontrollsystem schaffen.
Die Marktkirche hatte bereits Ende Januar bei winterlichen Temperaturen ihre Türen geöffnet und mehr als 60 Obdachlose aufgenommen. Sie konnten drei Tage lang in einem Saal unter der Kirche schlafen. Zahlreiche Ehrenamtliche begleiteten die Wohnungslosen, für die Decken und Schlafsäcke gestellt wurden. Auch umliegende Gastronomen hatten die Besucher versorgt. Die Kirche zu öffnen, könne nur eine Notlösung sein, sagte die Pastorin während der Aktion. Mittelfristig müsse es darum gehen, dass diese Menschen wieder eine Wohnung finden könnten.
Auch in anderen Städten waren Todesfälle im Freien zu beklagen. Im Januar war in Berlin ein Obdachloser bei Minusgraden gestorben. Der 55-jährige Mann wurde auf einer Parkbank tot aufgefunden. In Hamburg hatte breits Ende Oktober eine 43-jährige Obdachlose tot auf einer Parkbank gelegen. Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe sind seit 1991 in Deutschland mehr als 300 Kältetote unter Wohnungslosen zu beklagen.
US-Pastorin will sexuelle Reformation der Kirche
Foto: epd-bild/Thomas Lohnes
Das Buch der US-Pastorin Nadia Bolz-Weber "Pastrix – der verrückte, schöne Glaube einer Sünderin und Gerechten" schaffte es auf die Bestsellerliste der "New York Times".
Von Tabus hält Nadia Bolz-Weber nicht viel. Vor allem nicht, wenn sie von der Kirche errichtet werden. Das beweist die populäre Pastorin aus Denver (USA) auch in ihrem neuen Buch "Shameless". Darin fordert sie eine "sexuelle Reformation" der Kirche - gemeint ist eine Enttabuisierung der Sexualität. Und damit fängt Bolz-Weber bei sich selbst an.
In dem Buch spricht sie über ihre Entscheidung für eine Abtreibung. Als junge Frau sei sie nach ihrer Alkoholsucht gerade zwei Jahre "trocken" gewesen und habe keinen richtigen Job gehabt. Die Entscheidung habe sie "eine Zeit lang kaputt gemacht". Doch noch heute sei sie überzeugt, dass die Entscheidung richtig gewesen sei. Bolz-Weber ist in einem christlich-fundamentalistischen Elternhaus aufgewachsen, an dem sie sich stets gerieben hat. Nach viel Alkohol, Sex und religiöser Sinnsuche habe sie als Erwachsene zu ihrem Glauben an Jesus gefunden und zu den Lutheranern. Davon hat die Pastorin schon früher erzählt.
Heute ist Bolz-Weber Mutter zweier Kinder, die Ehe mit einem Pastor ist inzwischen geschieden. In ihrem Buch schildert sie auch eine Situation mit ihrer 18-jährigen Tochter, als diese sie fragt, ob sie bei ihrem festen Freund übernachten dürfe. Es sei schwer, die Sexualität der eigenen Kinder zu akzeptieren. Und doch habe sie ihrer Tochter erlaubt, über Nacht bei ihrem Freund zu bleiben, weil sie ihrer Tochter vertraue.
Gottgewollte Vielfalt - auch in sexueller Hinsicht
"Shameless" habe sie geschrieben, "für alle, die sich jemals wegen ihrer sexuellen Beschaffenheit geschämt haben", sagt Bolz-Weber. Für alle, die ihr Liebesleben verstecken müssten, für alle, die sich vom Christentum entfernt hätten, insgeheim Jesus aber noch immer liebten. Und für alle, die sich einmal gefragt hätten, warum die Kirche "so besessen" sei von Geboten zur Sexualität. Die Bestseller-Autorin und international bekannte Rednerin, die 2017 beim Deutschen Evangelischen Kirchentag auftrat, ist überzeugt, kirchliche Ge- und Verbote zum Thema Sex hätten zahllosen Menschen verletzt und ihnen Scham-Gefühle eingeredet.
Die 1969 gebürtige Pastorin hebt sich deutlich ab von den übrigen Geistlichen in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika, der größten lutherischen Kirche Nordamerikas. Kaum ein Artikel über Bolz-Weber erscheint ohne Hinweis auf ihre bunten Tattoos mit teilweise biblischen Motiven. 2008 gründete sie in den USA die lutherische "House for All Sinners and Saints" (deutsch: "Haus für alle Sünder und Heiligen"). In ihren Predigten legt sie häufig den Fokus auf Vielfalt und Individualität der Menschen. Im Sommer 2018 hat Bolz-Weber ihre Gemeinde im beiderseitigen Einvernehmen verlassen. Sie will schreiben und Vorträge halten, die Botschaft des Evangeliums weiter verbreiten, wie sie sagt.
In "Shameless" kommen auch Gemeindemitglieder zu Wort, die unter der kirchlichen Sexualmoral gelitten haben. Zum Beispiel erzählt ein junges Ehepaar, ihnen habe die Kirche vorgeschrieben, vor der Hochzeit beim Sexuellen "nicht zu weit" zu gehen. "Man hat mir immer erzählt, Gott sei allgegenwärtig und würde sehen, wie ich masturbiere, so dass ich mich schämen müsste", erzählt Ehemann Tim in "Shameless". Nach Ansicht von Bolz-Weber ist es "schlechte Theologie", zu lehren, dass Gott nur mit einem "bestimmten Menschentyp" zufrieden sei. Denn Gott habe die Menschheit in einer "atemberaubenden Vielfalt" erschaffen - auch in sexueller Hinsicht.
Streitpunkt Scham
Man müsse in der Kirche offen über Sex reden, ohne Schuldgefühle und Scham zu verbreiten. "Wenn deine sexuellen Sehnsüchte nicht auf Minderjährige ausgerichtet sind oder Tiere, oder wenn dein sexuelles Verhalten dir selber nicht schadet oder Menschen, die du liebst", müsse man Sehnsüchte nicht unterdrücken. Als Pastorin habe sie festgestellt, dass religiöse Vorschriften zur Kontrolle sexueller Wünsche, emotionales, sexuelles und spirituelles Wachstum behinderten.
In "Shameless" schreibt Bolz-Weber wie gewohnt humorvoll und gleichzeitig provozierend. Manchen Kritikern geht die "Bolz-Weber-Show" offenbar auf die Nerven. Die Pastorin tue so, als seien Scham und Schämen grundsätzlich schlecht, klagte die Sprecherin eines Anti-Pornografieverbandes in der Online-Zeitschrift "Christian Post". In der heutigen Welt, in der oft die Orientierung fehle, brauche man eher mehr als weniger Scham, erklärte sie.
Keine Idylle in der Heide
Foto: epd-bild/Karen Miether
Der evangelische Pastor Wilfried Manneke steht vor der Friedenskirche in Unterlüss bei Celle. Sein Buch über sein Engagement gegen Rechtsextremismus erscheint am 1. März.
Auf dem Weg vom Pfarrhaus zur Kirche geht Wilfried Manneke an dem Laternenpfahl vorbei, an den Neonazis immer wieder Hakenkreuze gekritzelt haben. Er streicht über die Rinde eines Baumes, die dünner geworden ist, weil Manneke dort rechtsradikale Schmierereien abgeschrubbt hat. "Auch an der Kirchentür klebten schon Hassbotschaften", sagt der 64-Jährige.
Der Pastor aus Unterlüß gehört zu den Kirchenvertretern in Deutschland, die sich prominent gegen Rechtsextremismus positionieren. Auch von Drohungen lässt Manneke sich nicht abschrecken. Über seine Erfahrungen hat er gemeinsam mit dem Journalisten Christoph Fasel ein Buch geschrieben, das Anfang März erscheint. "Guter Hirte. Braune Wölfe" erzählt auch von dem Schrecken, als Unbekannte im Dezember 2011 einen Brandanschlag auf das Pfarrhaus in dem Heidedorf bei Celle verüben. Nur knapp verpasst der Molotow-Cocktail das Küchenfenster. Mannekes damals sechsjähriger Sohn entdeckt am Morgen die Brandspuren.
Die angekohlte, teilweise sogar geschmolzene Dämmung an der Außenwand ist längst erneuert. "Aber spurlos vorübergangenen ist das an mir nicht", sagt der Pastor. Er weist auf den Feuerlöscher, der seit damals direkt hinter der Haustür hängt. "Ich bin vorsichtiger geworden."
Kampf um die Jugendlichen
Doch aufhören mit seinem Engagement will Manneke auch dann nicht, wenn er am 10. Februar aus der evangelischen Kirchengemeinde Unterlüß verabschiedet wird. Ganz im Gegenteil. Im vergangenen Jahr hat der Zentralrat der Juden in Deutschland den Pastor mit dem "Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage" ausgezeichnet - stellvertretend für diejenigen, die sich den Neonazis entgegenstemmen, wie Laudatorin Margot Käßmann es formulierte. Seitdem wird er häufiger für Vorträge angefragt, mit dem Buch könnte das noch mehr werden. Bis er im Juni in den Ruhestand geht, hat die hannoversche Landeskirche ihn deshalb für drei Monate freigestellt. Mit seiner Familie ist er von Unterlüß bereits in den Nachbarort gezogen.
23 Jahre lang war Manneke Pastor in Unterlüß. "Ich war gern dort", sagt er. Eine Idylle fand er jedoch nicht vor, als er nach zwölf Jahren als Auslandspfarrer der Evangelischen Kirche in Deutschland aus Südafrika zurück in die Heide kam. In Hetendorf, nahe Hermannsburg, wo Manneke am Missionsseminar studiert hat, betrieb damals der rechtsextreme Anwalt Jürgen Rieger ein Schulungszentrum. Manneke schloss sich den Protesten gegen dieses "Heideheim" an - auch weil die Neonazis Jugendliche in die rechte Szene zogen. "Die meisten von ihnen hatte ich kurz zuvor konfirmiert", sagt der Pastor.
Gemeinsam mit der Schule, dem kommunalen Jugendtreff, der evangelischen Jugend, Eltern und der katholischen Gemeinde rief er einen "Runden Tisch" ins Leben, um den Jugendlichen Alternativen aufzuzeigen. Neben dem Harz gilt die Lüneburger Heide als eine Hochburg von Rechtsradikalen in Niedersachsen. Als der NPD-Funktionär Rieger 2009 im nahe gelegenen Faßberg erneut einen Treffpunkt plante, war Manneke unter denen, die sich beharrlich dagegenstellten. Anfangs waren es zwölf, später kamen 350 Menschen zu den Mahnwachen zusammen. Es folgten Hassmails, Briefe, Drohungen im Internet und der Anschlag auf das Pfarrhaus und das Haus von Mitstreitern.
Eingeknickt ist Manneke nicht. Bis heute holt der Pastor mit dem kurzen grauem Schnurrbart regelmäßig das Plakat mit der Aufschrift "Die Heide blüht lila und nicht braun" aus dem Schrank. Er demonstriert, wann immer im Heideort Eschede der Landwirt Joachim Nahtz die rechte Szene auf seinen Hof lädt. Wenn Manneke davon erzählt, sagt er "wir". Gemeinsam mit anderen hat er das "Netzwerk Südheide gegen Rechtsextremismus" gegründet. Und er ist Vorsitzender der Initiative "Kirche für Demokratie - gegen Rechtsextremismus" in der hannoverschen Landeskirche.
Kirche feiert die Liebe unter Riesenherz
Die Gemeinde lade unter dem Motto "Du berührst mich" zu einem Programm mit Musik und Texten"für Verliebte und Liebende" ein, sagte am Dienstag der evangelische Gemeindepastor Stephan Kreutz. "Weil die Liebe bekanntlich eine Himmelsmacht ist, stehen an diesem Donnerstag ab 19 Uhr Partnerschaft und Liebe als Geschenke des Himmels im Mittelpunkt."
Er und seine Kollegin Eva Behrens wollen Liebeslyrik aus drei Jahrhunderten lesen, der Sänger und Pianist Arndt Baeck singt und improvisiert am Flügel bekannte und beliebte Liebeslieder. Am Ende können dann alle unter einem großen Luftballon-Herz auf die Liebe anstoßen.
"Alle sind eingeladen, Jung und Alt, Paare mit und ohne Trauschein, ganz gleich, ob frisch verliebt oder seit Jahrzehnten beisammen", betonte Kreutz. Zum Programm des Abends in der historischen Backsteinkirche gehört auch der Auftritt von Simone Sterr, Chefdramaturgin am Theater Bremen, und ihrem Mann Ralf Siebelt, die berühmte Liebes-Dialoge lesen wollen. Im Verlauf des Abends können sich liebende Paare überdies von Eva Behrens und Stephan Kreutz segnen lassen.
Die Kirchenveränderer von Fresh X
© Lena Christin Ohm
Die Jahrestagung des Fresh X Netzwerks war restlos ausverkauft - selbst zusätzliche Karten waren schnell vergriffen.
"Wir kommen mit", schallt es laut durch den Raum der CROSS Jugendkulturkirche in Kassel. Es ist die Stelle, die beim Echo-Lesen der biblischen Geschichte über das Erscheinen Jesu am See Tiberias (Joh. 21, 1-14) bei den Teilnehmenden der Fresh X Jahrestagung die meiste Zustimmung auslöst. Das ist kaum verwunderlich, signalisiert dieser Satz doch einen Aufbruch ins Ungewisse – etwas, für das die Projekte der "Fresh Expressions of Church" bekannt sind.
Haupt- und Ehrenamtliche sind an diesem Tag nach Kassel gekommen, um sich auszutauschen, sich zu vernetzen und neue Impulse für ihre Arbeit in den Kirchengemeinden zu bekommen. Zum ersten Mal ist die Jahrestagung offen für alle und nicht nur für die Mitglieder des Netzwerks. Eine gute Entscheidung, wie die Teilnehmerzahlen zeigen. "Die Karten waren sehr schnell ausverkauft und wir haben dann noch 30 zusätzliche Plätze schaffen können", sagt Birgit Dierks, die Geschäftsführerin von Fresh X. Doch auch diese Plätze seien schnell vergeben gewesen.
Die Teilnehmerschaft ist bunt gemischt – ältere und jüngere, hauptamtliche und ehrenamtliche, Männer und Frauen halten sich ungefähr die Waage. "Es freut uns besonders, dass sich so viele junge Menschen mit der Frage beschäftigen, wie Kirche anders aussehen kann", so Dierks. Das Fresh-X-Netzwerk ist überkonfessionell, deswegen finden sich unter den Teilnehmern auch Protestanten, Mitglieder von Freikirchen und Katholiken gleichermaßen. Auch wenn letztere vielleicht leicht in der Unterzahl sind – zumindest in ihrer eigenen Wahrnehmung.
"Es ist ein bisschen wie ein Familientreffen hier", erzählt Katrin Wilzius, die beim CVJM-Landesverband Hannover arbeitet. Es sei der gemeinschaftliche Geist und das gemeinsame Ziel, das die Leute hier so produktiv zusammengebracht habe. Wilzius beschreibt ihn mit einem Satz, den sie in ihrer E-Mail-Signatur stehen hat: "Wenn du willst, dass Kirche bleibt, darf sie nicht bleiben, wie sie ist." Diese Auffassung teilt die Mehrheit der Anwesenden. Viele von ihnen arbeiten bereits in Fresh-X-Projekten und gestalten Kirche so ganz anders als gewohnt: In Cafés, Fitnesscentern, Fast-Food-Läden oder Kneipen und unter Leuten, die ein gemeinsames Interesse verbindet wie Fahrräder reparieren, filzen oder kochen. Manche Projekte fokussieren sich auf Kinder oder Jugendliche, andere sind auf Internetnutzer ausgelegt und wieder andere engagieren sich für alle Menschen in einem bestimmten Stadtteil.
So unterschiedlich sie in ihren Erscheinungsformen und Ausprägungen auch sind, so gleichen sie sich im Kern doch laut Michael Moynagh in vier Merkmalen: Sie sind missional, kontextual, lebensverändernd und gemeindebildend (engl.: missional, contexual, formational, ecclesial). Moynagh ist im Fresh-Expressions-Team der anglikanischen Kirche, dem Vorbild der deutschen Bewegung, verantwortlich für die theologische Reflektion von Theorie und Praxis der neuen Formen von Kirche.
Für einen theologisch-praktischen Impuls über die lebensverändernde Komponente der Fresh Expressions of Church sorgt auf der Jahrestagung Michael Herbst. Er ist Professor für praktische Theologie an der Universität in Greifwald und Direktor des Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung. Er gehört zu jenen, die die Fresh-X-Bewegung von der Insel nach Deutschland geholt haben.
Ein besonderes Merkmal von Fresh X ist aus seiner Sicht, dass es sich dabei nicht um ein "Konsum-Christentum" handelt. Stattdessen sollen die Menschen zu Jüngern werden – Passivität ausgeschlossen. "Ein lebendiges, mündiges Christsein ist kein ferner, elitärer Zustand", so Herbst. Die Taufe und der Nicht-Austritt aus der Kirche würden dafür jedoch auch nicht reichen. "Lebendig bedeutet, dass der Glaube im Zentrum der Existenz steht", erklärt Herbst und fährt fort, dass wiederum die Mündigkeit darin besteht, dass man lernend, selbstständig und urteilsfähig ist. Und in allem bleibe man durch den Glauben, die Schrift und die Gnade bei Christus. "Und solche Menschen gestalten eine vitale Gemeinde und die zieht wiederum Menschen zum Evangelium."
Dieses Konzept der lebendigen Gemeinde hält auch Barry Sloan für erfolgsversprechend. Er ist Pastor der methodistischen Kirche und betreibt zusammen mit anderen Christinnen und Christen in Chemnitz das Stadtteilprojekt "Inspire". "Niemand will missioniert werden", hält Sloan fest. Stattdessen müsse man sein Leben mit den Menschen teilen und durch das christliche Verhalten käme Jesus dann dazu. "Und wenn dann Fragen aufkommen, kann man aufrichtig von seinem Glauben erzählen, ohne dass es im schlechten Sinne missionarisch wirkt", so Sloan. In diesem Zusammengang passend ist auch der Grundsatz von Sandra Bils von "Kirchehoch2": "Belonging before believing."
Dieses Gefühl von Dazugehörigkeit spielt auch in der Jugendarbeit eine immense Rolle. Die Kirchen müssten sich von der "Komm-Struktur" verabschieden, so Lena Niekler vom Institut für missionarische Jugendarbeit der CVJM-Hochschule. Es gibt ein so großes Angebot zur Freizeitgestaltung für die Jugendlichen, dass die kirchliche Jugendarbeit da einen Mehrwert, eine Heimat bieten muss und nicht darauf warten kann, dass die Jugendlichen schon kommen werden. "Bei der Fresh-X-Jugendarbeit ist es so, dass wir da hingehen, wo die Jugendlichen sind, und dort bleiben, um zu sehen, was wächst, wenn wir Beziehungen zu ihnen aufbauen", so Niekler. Das sei oft ein Abenteuer und erfordere es, einen Schritt aus der eigenen Komfortzone zu machen, doch sehr oft lohne es sich. Dabei dürfe man eins jedoch nicht vergessen, so Niekler: "Wir machen Jugendarbeit nicht für, sondern mit den Jugendlichen. Wir setzen ihnen nichts vor, was sie dann passiv konsumieren können, sondern gestalten etwas miteinander."
Ein Schema F für eine erfolgreiche Jugendarbeit gebe es dabei nicht, weil es etwas Einzigartiges brauche, was zum Ort und den Menschen passe. Man müsse ganz genau hinhören, was Jugendliche wollen und sie nach ihren Wünschen und Bedürfnissen fragen. Und wenn dabei, wie eine Teilnehmerin erzählt, herauskommt, dass die Jugendlichen gern in eine Trampolinhalle fahren wollen, dann leiht man sich einen Bulli und fährt ein paar Mal mit ihnen dorthin. "Manchmal müssen wir in der Jugendarbeit auch Kulturschocks hinnehmen, um eine Initialzündung auszulösen", erklärt Niekler. Sobald man dann eine Beziehung zu den jungen Menschen aufgebaut habe, käme man auch in Gesprächen dazu, über Gott, den Glauben und die Werte zu reden, die einen selbst tragen und motivieren.
Dass es genau so funktionieren kann, hat auch Pastoralreferent Björn Hirsch mit dem überkonfessionellen Netzwerk "All for One" in Fulda festgestellt. "Viele junge Menschen sind post-konfessionell. Sie wollen einfach nur Christ sein", erzählt er. Die Grundwerte wie Respekt, Liebe, Toleranz und Offenheit zählen, deshalb sei es für sie kein Problem, wenn sie aus verschiedenen geistlichen Traditionen und Glaubensgeschichten (oder auch gar keinen) zusammenkommen. Bei der Gestaltung des Angebots sei es wichtig, es individuell auf die Zielgruppe zuzuschneiden. Fritz-Cola statt Früchtetee könne da manchmal schon helfen. "Es geht nicht darum, was wir gerne machen und wie wir sprechen. Es geht darum, was die Jugendlichen gern machen und wie sie sprechen", sagt Hirsch.
Bei allen Angeboten in der Jugendarbeit, darin sind sich Lena Niekler und Björn Hirsch einig, darf es nicht darum gehen, den Sinkflug der Kirchenmitgliedschaftszahlen aufzuhalten. Stattdessen stünde die Frage im Mittelpunkt, wie die gute Nachricht für die Jugendlichen in diesem Kontext aussieht und wie man sie ihnen näher bringen kann. Lena Niekler bringt es auf den Punkt: "Fresh-X-Jugendarbeit beginnt mit unserer Leidenschaft für Gott und junge Menschen."
"Büdchen" -Sternfahrt lädt zu Kirchentag ein
Foto: DEKT/Jens Schulze
Vorbereitungen für den Kirchentag mit dem Slogan "Glückauf und Halleluja" laufen.
Für den "Budenzauber" waren am Samstag acht Teams unterwegs, um an den verschiedenen Stationen über das Großereignis vom 19. bis 23. Juni im Ruhrgebiet zu informieren, wie die Kirchentagsgeschäftstelle mitteilte. Die mobilen Kioske machten unter anderem in Leverkusen, Wuppertal, Gelsenkirchen, Bochum, Iserlohn oder Düsseldorf Halt, auch in Attendorn, Bad Berleburg, Herford und Brilon. Ziel war die Reinoldikirche in Dortmund, wo unter anderem Kirchentags-Chor auftrat. Organisiert wurde die Sternfahrt vom westfälischen Landesausschusses für den Kirchentag.
Der Deutsche Evangelische Kirchentag besteht seit 1949 und findet alle zwei Jahre in einer anderen Großstadt statt. Nach 1963 und dem Ruhrgebietskirchentag 1991 ist das Protestantentreffen zum dritten Mal in Dortmund zu Gast. Die Veranstalter erwarten in diesem Jahr rund 100.000 Dauerteilnehmer.